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    Kapitalmärkte und Kapitalanlagen

    Die Börse im Blick: So wird investiert.

    Kapitalmärkte und Kapitalanlagen | 8.2.2021 Drucken

    Hilft Intuition als Kompass bei der Kapitalanlage?

    Lässt sich erlernen, richtig mit Risiken zu leben, zum Beispiel bei der Kapitalanlage? Darauf gibt Prof. Dr. Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, der sich seit Jahren mit Risikokompetenz beschäftigt, Anworten im Interview.

    Sie schwören auf die Intuition der Menschen. Damit gelinge Geldanlage besser als mit umfangreichem Detailwissen. Demnach müssten Privatanleger sich im Vergleich zu den Experten der Wertpapierwelt in der gleichen oder sogar einer besseren Ausgangslage befinden. Trifft das zu?

    Intuition ist gefühltes Wissen. Nicht jede Intuition ist gleich gut. Man benötigt schon Erfahrung. Ein Fußballer zum Beispiel hat innerhalb von Sekunden gute Intuitionen für sein Verhalten auf dem Platz, aber nicht unbedingt gute Intuitionen für die Geldanlage. Bei der Entscheidung, ob man in Aktien oder Zinspapiere investieren sollte, besitzen natürlich die Experten die besseren Intuitionen. Wer langfristig größeren Gewinn machen möchte, geht in Aktien. Kurzfristig trifft diese Feststellung aber nicht unbedingt zu.

    Für eine Studie in Schweden legten Wissenschaftler den Befragten jeweils zwei Aktien vor und wollten wissen, welche von den beiden in 30 Tagen besser abschneidet. Unter den Teilnehmern der Studie waren zum einen Laien und zum anderen Experten. Die Zufallswahrscheinlichkeit bei diesem Test beträgt 50 Prozent. Die Laien kamen auf 50 Prozent richtige Antworten. Die Experten hingegen nur auf 40 Prozent. Das war erstaunlich. Zu erwarten wäre gewesen, dass die Experten besser abschneiden. Eine weitere Stichprobe mit Experten führte aber zum gleichen Ergebnis. Das ist ein Beispiel dafür, dass bei kurzfristigen Vorhersagen die Experten nicht besser sind als Laien. Die Ursache dafür ist das sogenannte Overfitting. Die Vergangenheit wird zu ernst genommen. Dazu muss man sie allerdings kennen. Das trifft auf Experten stärker zu als auf Laien. Experten schreiben die Entwicklung der letzten Wochen fort. Aber das funktioniert nicht ohne weiteres.

    „Es herrscht verbreitete Angst, mit Aktien Geld zu verlieren.“

    Der gesunde Menschenverstand ist also durchaus eine probate Entscheidungshilfe.

    Ohne Frage. In Millionen von Jahren der Evolution hat sich solcherart Intuition entwickelt. Der gesunde Menschenverstand kann aber auch in die Irre führen.

    Schaut man sich die Portfolios privater Anleger an, sticht der hohe Anteil von wenig rentierlichen oder gar durch Geldentwertung verlustbringenden Spar- und Festgeldkonten hervor. Ist das auch ein Resultat von Bauchentscheidungen? Der Kopf müsste doch längst signalisiert haben, dass mit diesen Anlagen kein Geld mehr zu verdienen ist.

    Das ist ein speziell deutsches Phänomen. In den USA zum Beispiel sind die Menschen viel stärker bereit, in Aktien zu investieren. Die deutsche Angst vor Aktien geht auf einige traumatische Erfahrungen zurück, auf Beobachtungen, wie Aktien nach einem Anstieg stark einbrachen, wie bei Deutsche Telekom und Infineon. Es herrscht verbreitete Angst, mit Aktien Geld zu verlieren. Die Risikobereitschaft ist geringer als in anderen Ländern. Ältere Menschen wiederum wollen erworbenes Vermögen vor allem bewahren und nicht durch eine Aktienanlage aufs Spiel setzen. Da kommt also auch eine rationale Erwägung mit ins Spiel.

    „Die Sehnsucht nach Sicherheit, die es am Ende doch nicht gibt, ist groß.“

    Steht also die Intuition den meisten Menschen bei der Aktienanlage im Wege, weil vor allem die starken Schwankungen und Einbrüche der Vergangenheit die Bauchentscheidungen dominieren und Aktien damit das Etikett einer Risikoanlage bekommen?

    Das kann zum Teil auch mit der Illusion der Gewissheit zusammenhängen. Sparbuch oder Festgeld sind gewiss, Aktien dagegen ungewiss. Die Sehnsucht nach Sicherheit, die es am Ende doch nicht gibt, ist groß.

    So kommt es, dass nur 15 Prozent der Bundesbürger, die älter als 14 Jahre sind, Aktien oder Anteile an Aktienfonds besitzen. Das Problem ist also zunächst nicht die Auswahl des Fonds oder der Aktie, sondern erst einmal die grundsätzliche Entscheidung für eine Aktienanlage. Haben Sie in Ihren Untersuchungen einen Weg gefunden, wie sich diese Hürde überwinden lässt?

    Ein wirksames Mittel ist die Imitation. Junge Menschen interessieren sich dann für Aktien und kaufen vielleicht sogar welche, wenn es ihre Freunde tun. Da es insgesamt aber nur wenige Aktienbesitzer in Deutschland gibt, tritt solche Nachahmung zwangsläufig auch seltener auf. Um die Verbreitung von Aktienanlagen zu fördern, braucht es eine Aktivierung der Jüngeren, anstelle eines 50-jährigen Bankberaters, der den Anlegern erklärt, dass sie es selbst nicht können und besser den Experten überlassen sollten. Statt prominente Schauspieler als Werbefiguren für die Aktienkultur ins Rennen zu schicken, sollten die Peergroups die Vorbildfunktion übernehmen.

    „In der Schule wird bislang kaum die Mathematik der Ungewissheit gelehrt.“

    Sie haben sich mit Ihrem Team der Aufgabe verschrieben, zur Entwicklung von Risikokompetenz in der Bevölkerung beizutragen. Wie kann das Ihrer Meinung nach bei der Geldanlage geschehen?

    Das muss schon in der Schule beginnen. Dort wird bislang die Mathematik der Sicherheit gelehrt, aber kaum die Mathematik der Ungewissheit, sprich statistisches Denken. Geometrie, Trigonometrie und Algebra stehen im Lehrplan. Das meiste davon ist später im Leben nur selten relevant. Das heißt nicht, dass Schüler dies nicht lernen sollten. Aber die fürs Leben nützlichen Dinge müssten zuerst an der Reihe sein und dazu gehört eben auch statistisches Denken. Drei Kernbereiche sollten schon früh auf der Bildungsagenda stehen: digitale Kompetenz, Gesundheitskompetenz und eben Finanzkompetenz. Um letztere zu erlangen, könnte einer Jahrgangsstufe, zum Beispiel den 10. Klassen, ein Geldbetrag zur Verfügung gestellt werden, den die Schüler selbst anlegen und verwalten dürfen.

    Also wirkliches Geld, kein Börsenspiel mit fiktiven Beträgen, wie dies hin und wieder schon gemacht wird.

    Ja, sagen wir 10.000 Euro. Das Kapital am Ende des Schuljahres geht dann in die Verantwortung des folgenden Jahrgangs über. Das ist bislang nur eine Idee von mir. Aber ich gehe davon aus, ein solches Experiment würde auf großes Interesse unter den Jugendlichen stoßen. Sie würden darüber reden und damit auch Interesse in ihren Communities und darüber hinaus wecken. Dazu muss man sich als Schule dann aber auch trauen. Ich bin mir sicher, dass sich in Deutschland Spender für solche Projekte finden würden.

    „Herdentrieb hat mit Intuition wenig zu tun.“

    Finanzberater versuchen, ihre Kunden mit historischen Renditen und Ausfallwahrscheinlichkeiten zu überzeugen. Stehen sie damit auf verlorenem Posten? Müssten sie vielleicht statt der Ratio eher die Emotion ansprechen?

    Eine rein emotionale Ansprache wäre auch nicht richtig. Es kommt darauf an, Gelegenheiten zu schaffen, damit Erfahrungen mit Kapitalanlage entstehen. Der Vermögensverwalter und Investor Peter Pühringer stellte zum Beispiel Studenten an den Universitäten in Zürich und Wien Kapital zur Verfügung, das sie in Eigenverantwortung anlegen.

    Vom Verhalten in der Gruppe, vor allem mit Blick auf die jungen Menschen, war bereits die Rede. Aber birgt Herdentrieb nicht auch Gefahren? Als alle Welt im Jahr 2000 während der ersten Internet-Euphorie von den Tech-Werten sprach, bekamen viele das Bauchgefühl, da mitmachen zu müssen, weil sonst eine Gelegenheit verpasst würde. Obwohl der Kopf sagte, dass die Aktien eigentlich zu teuer sind.

    Das hat mit Intuition wenig zu tun. In diesem Fall handeln Menschen, ohne Erfahrung zu besitzen. Herdentrieb kann einem nutzen oder auch schaden. Dabei handelt es sich nur um die Nachahmung des Verhaltens anderer.

    Stellen Sie sich vor, IT-Entwickler kämen zu Ihnen, um gemeinsam mit Ihnen eine App zu entwickeln, mit der Menschen für die Geldanlage Risikokompetenz und Risikobereitschaft erwerben können. Was fiele Ihnen auf Anhieb zum Konzept einer solchen App ein?

    Da hätte ich zwei Vorschläge. Erstens: Die App sollte den Nutzern Gelegenheit geben, Erfahrungen im Umgang mit Aktien zu sammeln, aber auf der Grundlage von tatsächlichen Kursverläufen. Ein Beispiel dafür: Mit dieser App ließe sich einfach ermitteln, was passiert wäre, wenn man am 20. März 2020 den DAX gekauft hätte. Zweitens: Die App sollte Mitglieder aus den Altersgruppen, die für das eigene Verhalten relevant sind, zusammenbringen.

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