EU-Taxonomie: Ritterschlag für Gas und Atomkraft
Das Europäische Parlament hat dafür gestimmt, dass Investitionen in Gas- und Atomenergie unter bestimmten Bedingungen als nachhaltig eingestuft werden können. Demnach konnten sich die Gegner der entsprechenden Pläne bei der Abstimmung im Parlament nicht durchsetzen.
278 Abgeordnete votierten im Plenum in Straßburg dafür. Es gab 328 Gegenstimmen und 33 Enthaltungen. Um das Vorhaben zu blockieren, wäre eine absolute Mehrheit von 353 der 705 Abgeordneten nötig gewesen. Damit gelten Gas- und Atomstrom nun als umweltfreundliche Technologien im Sinne der EU-Taxonomie.

Die Taxonomie ist ein Klassifikationssystem, das private Investitionen in nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten lenken soll. Bevor die Technologien Gas und Atomkraft nun aber tatsächlich ein „Öko-Siegel“ erhalten, stehen noch einige juristische Schritte an. Schließlich hatten Österreich und Luxemburg vor der Abstimmung im EU-Parlament angekündigt, gegen die Taxonomie zu klagen, sollten Gas- und Atomenergie als nachhaltig gelten.
In der Investment- und Fondsbranche stößt das Ergebnis der Abstimmung auf große Kritik. Viele Nachhaltigkeitsfonds schließen gerade Atomstromproduzenten seit vielen Jahren aus ihrem Fondsuniversum aus, was angesichts der Katastrophenrisiken bei Atomkraftwerken und der nicht gelösten Frage der Endlagerung ja Sinn macht.
Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel
Frankreich jedoch will als größter Atomstromproduzent Europas seine Energieversorger schützen. So wird aus politischen Gründen die Glaubwürdigkeit der EU-Taxonomie aufs Spiel gesetzt. Der Anspruch, globaler Vorreiter beim Setzen von Nachhaltigkeitsstandards zu sein, lässt sich so wohl kaum einlösen. Wünschenswert wäre eigentlich, dass sich die EU-Taxonomie strikt an wissenschaftlichen Kriterien orientiert, stattdessen werden immer mehr politische Interessen mit Anlageentscheidungen in nachhaltige Produkte vermengt.
Es mangelt an nachvollziehbaren Guidelines
Unsere Meinung: Die Abstimmung im EU-Parlament ist nur ein weiterer Beweis dafür, dass das bürokratische Nachhaltigkeitsmonster Taxonomie an der Realität vorbeigeht und für Anleger eher kontraproduktiv ist. Die ganze Thematik ist zwar politisch gewollt, von manchen Kunden vielleicht auch gewünscht, aber aktuell ist das Konstrukt mangels nachvollziehbarer Guidelines und wegen überbordender Administration für Investoren zum Scheitern verurteilt. Was als „nachhaltig“ anzusehen ist, liegt ja oft auch im Auge des Betrachters. Man wird es nicht allen recht machen können. Zu radikale Ansätze vermindern das Investitionsspektrum so stark, so dass keine sinnvolle Streuung mehr möglich ist. Bei Kompromiss- und Best-in-Class-Lösungen wird man einige zweifelhafte Kröten im Depot in Kauf nehmen müssen.

Gastautor Dr. Marc-Oliver Lux ist Vermögensverwalter bei der Dr. Lux & Präuner GmbH & Co. KG in München. Weitere Beiträge von ihm und anderen Vermögensverwaltern finden Sie auf www.v-check.de.
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