Lesebrille fürs Banking
Während die meisten Fintechs vor allem auf die online-affine junge Generation schielen, hat sich das Start-up Brygge der Zielgruppe 50plus verschrieben und gibt ein Versprechen ab: Banking mit Wohlfühlfaktor.
Eines stellt Gründerin Cornelia Schwertner gleich zu Anfang klar: Auf keinen Fall wolle man als „N26 für Ältere“ gelten. Das Start-up verstehe sich nicht als Neobank. Stattdessen hat sie eine andere griffige Formel parat: Brygge sei die „Lesebrille fürs Banking“.
Sparkassen und Volksbanken können also aufatmen. Nachdem Vivid, N26 & Co. bereits die junge Kundschaft abgrasen, steht eine ähnliche Attacke bei den Älteren erst einmal nicht bevor, zumindest nicht durch die Neugründung Brygge. Deren künftige Nutzer sollen nämlich ihre bisherigen Bankverbindungen behalten und besser mit ihnen klarkommen als zuvor, vor allem wenn die jahrelang genutzte Bankfiliale schließt und am Online-Banking schließlich kein Weg vorbeiführt.
Für drei Kundentypen entwickelt Brygge maßgeschneiderte Leistungen. Das sind erstens Ältere, die sich längst mit dem Online-Banking angefreundet haben, aber mehr daraus machen möchten. Dabei denkt Cornelia Schwertner aber nicht an ausgefeilte technische Features, mit denen die Neobanken ihre junge online-affine Kundschaft immer wieder aufs Neue bei der Stange hält. Ihr Stichwort heißt “Brygge Berichte”. Auf dem Frontend von Brygge, mit dem auch die Bewegungen auf mehreren Bankkonten per PSD2-Schnittstelle angezeigt werden können, erhalten die Nutzer ereignisabhängig Ratschläge für den Umgang mit ihren Finanzen.
Hinweis auf Steuerpflicht bei Renten
„Wir wollen Beratung im ‚Alltäglichen‘ leisten“, verspricht die Gründerin. „Das kann von der Anleitung beim Online-Shopping bis zur Aufklärung über den Enkeltrick reichen. Dazu verfolgen wir die einzelnen Abbuchungen und liefern passend dazu Empfehlungen.“ Dabei gehe es aber nicht um einzelne Produkte, sondern um Aufklärung und Orientierung. Cornelia Schwertner führt einige Beispiele für solche “Brygge Berichte” auf. Buchungen mit steuerlicher Relevanz: „Erscheinen zum Beispiel Rentenzahlungen unter den Gutschriften, weisen wir auf eine etwaige Steuerpflicht hin, die durch Rentenerhöhungen oder eine zusätzliche Witwenrente entstehen können. Identifizieren wir Spenden, machen wir auf deren steuerliche Abzugsfähigkeit aufmerksam.“
Warnung bei kritischen Abbuchungen
Für solche individuelle Datenauswertung sieht sie ein großes Reservoir. So könnte Brygge auch prüfen, ob die Stromrechnung deutlich über den üblichen Werten liegt. „Ist das der Fall, helfen wir bei der Suche nach einem günstigeren Vertrag, aber immer mit unabhängigen Quellen und ohne daran eine Provision zu verdienen.“ Außerdem werde die Software darauf getrimmt, kritische Abbuchungen zu erkennen, die gegebenenfalls innerhalb der noch laufenden Widerspruchsfrist gestoppt werden können.
Auf individuelle Stärken zugeschnittene Angebote
Zum zweiten Kundentyp, den Brygge ausgemacht hat, gehören all jene, die sich bislang noch mit dem Online-Banking unsicher und unwohl fühlen, es unübersichtlich finden oder noch nie welches betrieben haben. „Diese Personen nehmen wir an die Hand und führen sie schrittweise zum und durchs Online-Banking, zum Beispiel mit Schulungsinhalten oder Erklärboxen bei der Nutzung“, beschreibt Cornelia Schwertner den Unterschied. Diese zusätzlichen Informationen erscheinen bei der ersten Kundengruppe nicht. Daher auch die Formel mit der Lesebrille. Jeder bekomme ein Angebot, das genau auf seine Stärken zugeschnitten ist. Mit Hilfe von Brygge, darin ist sich die Gründerin sicher, können bei Interesse auch hochbetagte Menschen fürs Online-Banking fitgemacht werden.
Mit Tandem-Banking auf dem Laufenden bleiben
In die dritte Kundengruppe gehören all jene, die entweder die Verantwortung fürs Banking abgeben wollen, zum Beispiel an die Kinder, oder die sich um die Geldangelegenheiten Dritter kümmern. Das seien mitunter keine einfachen Konstellationen. Die Älteren wollen dann häufig immer noch auf dem Laufenden bleiben, auch wenn sie die Überweisung selbst nicht auslösen. Dafür bietet das Start-up zusätzlich oder unabhängig von der Alleinnutzung auch das sogenannte “Brygge Tandem-Banking” mit zwei unterschiedlichen Oberflächen. Auf der einen agiert der Bevollmächtigte, begleicht Rechnungen, richtet Daueraufträge ein. Auf der anderen können die Kontoinhaber, die eine Vollmacht erteilt haben, alles nachverfolgen. Zum “Brygge Tandem-Banking” könne dann auch eine Fotofunktion gehören, mit der Rechnungen einfach an den Bevollmächtigten weitergeleitet werden können, ergänzt Schwertner.
Abomodell mit sozialer Komponente
Bleibt die Frage, was all diese Dienstleistungen kosten. Eine Finanzierung über Provisionen, die aus den Empfehlungen entstehen, lehnt die Gründerin ab. Sie will auch in diesem Punkt völlige Unabhängigkeit bewahren. Daher ist ein Abomodell geplant, allerdings mit einer sozialen Komponente. Nutzer mit einem Einkommen von weniger als 1.000 Euro im Monat sollen Brygge kostenfrei anwenden können. Menschen mit geringem Einkommen haben ihrer Meinung nach einen erhöhten Aufklärungsbedarf. Sie würden aber wohl ein kostenpflichtiges Angebot gar nicht in Anspruch nehmen.
Für alle anderen hängt die Abo-Gebühr vom Einkommen ab. Aber funktioniert ein solches Bezahlmodell tatsächlich? Hat Brygge am Ende vielleicht vor allem die kostenfreien Nutzer mit schmalem Geldbeutel und wenig zahlende Kunden? Cornelia Schwertner zeigt sich überzeugt, dass die Akzeptanz in der angepeilten Altersgruppe, in der auch die Spendenbereitschaft überdurchschnittlich hoch ist, für ein solch solidarisches Vorgehen vorhanden ist. Außerdem sei das Angebot von Brygge auch für mittlere und hohe Einkommen mit einem hohen Mehrwert versehen, der den Preis wert sein wird. Ob ihre Einschätzung zutrifft, wird sich in einigen Jahren erweisen.
Livegang zum Jahresende
Leichter macht sich die Gründerin die Arbeit damit allerdings nicht. „Wir hätten auch eine gemeinnützige GmbH gründen können und auf Spenden hoffen. Aber wir wollen beweisen, dass sich unser Anliegen auch mit einem marktwirtschaftlichen Konzept umsetzen lässt.“ Brygge wolle kein verträumtes Einhorn werden, sondern ein echtes Zebra sein. Die schwarz-weiß gestreiften Tiere stehen in der Gründerszene als Synonym für soziale Start-ups, die rentabel und nachhaltig sind.
Noch lässt sich Brygge lediglich mit einer Demo-Version ausprobieren. Durch die Demo und eine kurze Feedback-Umfrage strebt das Team ein möglichst nutzerzentriertes Produkt an. Offene Kritik ist also explizit erwünscht. Den Livegang planen Cornelia Schwertner und ihr kleines Team zum Jahresende, mit einer zur Saison passenden Marketing-Aktion. Möglichst viele Brygge-Gutscheine unter Weihnachtsbäumen wünscht sich die Gründerin. Zum Beispiel von den Kindern für die Eltern.
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