Rentenreform – gefangen zwischen Haltelininen
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hat die Abkehr von der Agenda 2010 als Ziel ausgegeben und dabei auch das Stichwort Rente erwähnt. Dabei wird sich erst noch zeigen müssen, wie weit er dafür das sozialdemokratisch geführte Arbeitsministerium unter Leitung von Andrea Nahles hinter sich bringt. Sie soll schließlich die konkreten Pläne dafür ausarbeiten.
Eines ist heute schon sicher: Eine Rückkehr zum Rentensystem, wie es vor den Reformen der Schröder-Regierung existierte, wird es mit Andrea Nahles im Arbeitsministerium nicht geben.
Das wurde unlängst auf dem MCC-Kongress „Zukunftsmarkt Altersvorsorge“ ziemlich deutlich. Dort lieferte sie noch einmal ein klares Bekenntnis zum Drei-Säulen-System der Altersvorsorge ab. „Auch wenn das einige in meiner Partei anders sehen“, fügte sie hinzu. Schon im vergangenen Jahr, als der CSU-Vorsitzende die Riester-Rente für erledigt erklärte hatte, bremste sie solche Versuche. Auf dem Kongress plädierte sie erneut für eine faire Behandlung aller drei Säulen der Alterssicherung. Jede habe ihre Daseinsberechtigung. Ein radikaler Kurswechsel, der zum Beispiel nur noch auf die gesetzliche Rentenversicherung setzt, kommt mit ihr also nicht in Frage.
Kluft zwischen Löhnen und Renten begrenzen
Dennoch liegt ihr die gesetzliche Rentenversicherung besonders am Herzen. Bereits vor Wochen hat sie mit ihrem Reformpaket als Ziel ausgegeben, das Rentenniveau zu stabilisieren. Die Kluft zwischen Löhnen und Renten dürfe nicht zu groß werden. Aus diesem Grund packte sie auch ihren Vorschlag der „doppelten Haltelinie“ in dieses Reformbündel. Einerseits soll das Rentenniveau einen bestimmten Prozentsatz nicht unterschreiten, andererseits der Beitragssatz einen vorgegebenen Maximalwert nicht überschreiten. Damit diese Quadratur des Kreises gelingt, muss zusätzliches Geld ins System. Daran scheiterte dieser Vorschlag auch erst einmal am Kabinettstisch. „Die doppelte Haltelinie fand Frau Merkel auch gut, wir konnten uns nur nicht darauf einigen, wo diese Haltelinien festgesetzt werden, weil das was kostet“, beschrieb die Bundesministerin die Gründe für das vorläufige Scheitern dieses Vorschlags.
Auflage einer neuen großen Reformkommission
Andrea Nahles ist aber der festen Überzeugung, dass in der nächsten Legislaturperiode keine Regierung, wie immer diese auch zusammengesetzt sein möge, an der doppelten Haltelinie vorbeikommt. Damit klang übrigens an, was hinter vorgehaltener Hand zu erfahren war. Die Ministerin wollte eigentlich nicht schon jetzt eine Haltelinie von 46 Prozent für das Rentenniveau bis 2045 vorschlagen. Ihr ursprünglicher Plan sah anders aus. Bis 2030 gibt es eine geltende Rechtslage, die als Untergrenze 43 Prozent vorsieht. Die unlängst vorgeschlagenen 46 Prozent liegen also über dem Wert, der im Sozialgesetzbuch steht. Dabei wollte es Andrea Nahles vorerst belassen, um in der kommenden Legislaturperiode in einer neuen großen Rentenreformkommission in Ruhe und parteiübergreifend über das Rentensystem nach 2030 zu beraten.
Gewerkschaften verlangten mehr
Doch die Gewerkschaften wollten einen Punktsieg beim Rentenniveau und bedrängten die Ministerin mit dem Ziel die Obergrenze bei 48 Prozent oder noch höher festzulegen. Sie gab schließlich ein wenig nach, herausgekommen ist die Kompromissgrenze von 46 Prozent. Das ist nach Meinung von Rentenexperten „irgendwie zu schaffen“. Da sich die große Koalition darauf nicht verständigen konnte, landet das Thema nun im Wahlkampf. Mit großer Wahrscheinlichkeit werden an der linken Flanke des politischen Spektrums noch um einiges höhere Prozentzahlen aufgerufen. Mit seinem Signal zur Abkehr von der Agenda 2010 hat Martin Schulz dazu eine Ermutigung an alle Skeptiker der Rentenreform von Rot-Grün ausgesprochen.
Statt solcher finanziell nicht fundierten Forderungen sollten die Parteien sich auf ein früheres Prinzip in der Rentenpolitik besinnen – die meisten Reformen wurden nämlich in informellen großen Koalitionen vereinbart – die Weiterentwicklung des Rentensystems einer Reformkommission in der nächsten Legislaturperiode übertragen und das Thema so aus dem Wahlkampf herauszuhalten.
Hier finden Sie die komplette Rede von Andrea Nahles auf dem MCC-Kongress in Berlin:
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