Haltelinien haben ihren Preis
Die SPD wird im Bundestagswahlkampf mit dem Konzept der doppelten Haltelinie in der Rentenversicherung antreten. Das klingt eingängig, aber ist es auch realistisch?
Noch vor einigen Monaten sah es so aus, also ob der Bundestagswahlkampf zu einem Überbietungswettbewerb in Sachen Rente ausartet. Ein solches Verhalten der Parteien, das nach der Wahl dann für große Enttäuschungen gesorgt hätte, droht nun wahrscheinlich doch nicht. Der SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz übernimmt nach dem jetzigen Stand wahrscheinlich das Konzept der doppelten Haltelinie. Es war Teil des vom sozialdemokratisch geführten Bundesarbeitsministerium vorgeschlagenen Gesamtkonzepts Alterssicherung. Ministerin Nahles kam mit dem gesamten Paket im Bundeskabinett allerdings nicht durch. Nur Teile wie die Angleichung der Ostrenten packt die Große Koalition noch an. Die Idee mit den Haltelinien, so hört man, fand die Bundeskanzlerin wohl auch gut. Dennoch legte sich das Kabinett darauf nicht fest. Das hat auch einen guten Grund. Diese Haltelinien gibt es nämlich nicht zum Nulltarif.
Nimmt man die Finanzschätzung für die Rentenversicherung von Februar 2017, dann liegt sie derzeit völlig im Plan. Die im Gesetz vorgeschriebenen Grenzen für das Netto-Rentenniveau vor Steuern und für den Beitragssatz werden bis 2030 über- beziehungsweise unterboten. Bis 2020 ist vorgeschrieben, dass der Beitragssatz nicht über 20 Prozent steigt. Zu dieser Obergrenze hält der Beitragssatz gebührlichen Abstand. 2020 werden es nach den jetzigen Vorausberechnungen 18,7 Prozent sein. Trotz der ausgabesteigernden Entscheidungen, die die Große Koalition bereits zu Beginn der Legislaturperiode getroffen hat.
Auch das Rentenniveau entwickelt sich weit besser als noch vor Jahren angenommen. Bis 2020 sollte es nicht unter 46 Prozent fallen. 47,9 werden es dann voraussichtlich sein. Der Rentenkasse geht es wegen des Zuwachses sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung derzeit glänzend. Bei der Rentenversicherung wundere man sich selbst, so ist zu hören, über die Entwicklung der Beitragseinnahmen. Außerdem puffert eine immer noch gut gefüllte Nachhaltigkeitsrücklage die wachsenden Ausgaben ab. Ende 2016 betrug sie 1,66 Monatsausgaben. Daher hätte eigentlich der Beitragssatz gesenkt werden müssen. Aber da die Rentenversicherung für das Ende 2017 mit weniger als 1,5 Monatsausgaben Rücklage rechnet, unterblieb die Beitragssenkung. Dann wäre die Rücklage nämlich wieder in der vorgeschriebenen Bandbreite von 0,2 bis 1,5 Monatsausgaben.
Kein Handlungsbedarf bis zum Jahr 2030
Selbst bis 2030, so weit reicht die gesetzliche Vorgabe für Beitragssatz und Rentenniveau, bleibt die Finanzsituation (fast) planmäßig. Für das Rentenniveau werden 44,6 Prozent angenommen. Das wäre klar über der dann geltenden Untergrenze von 43 Prozent. Auch der Beitragssatz schrammt mit 21,9 Prozent noch knapp an der Zielmarke von 22 Prozent vorbei. Demnach hätte auf der Grundlage der Sozialgesetze keinerlei Handlungsbedarf beim Beitragssatz und beim Rentenniveau bestanden. Auf Druck der Gewerkschaften hat Bundesministerin Nahles entgegen ihrer ursprünglichen Planungen dennoch den Vorschlag mit den Haltelinien eingebracht.
Leitplanken auf realistischer Grundlage
Die Rentenversicherung selbst hält dieses Konzept im Grunde genommen für tauglich. „Leitplanken für das Rentenniveau und den Beitragssatz tragen dazu bei, die Belastungen des demografischen Wandels zu verteilen und machen die Alterssicherung langfristig vorhersehbar“, so die Meinung der Präsidentin der Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach. Sie macht aber zugleich einen wesentlichen Einwand. Es gebe dafür eine Voraussetzung: Leitplanken müssen unter realistischen Bedingungen erreichbar sein. Damit die angepeilte Haltelinie von 46 Prozent nicht gerissen wird, muss etwa ab 2025 mehr Geld in die Rentenkasse fließen.
Ohne zusätzliches Geld geht es nicht
Für die Finanzierung der Rentenversicherung gibt es eine Faustformel: Ein Prozentpunkt höheres Rentenniveau kostet etwa einen halben Beitragspunkt. Bei einer Haltelinie von 46 Prozent für das Rentenniveau läge der Beitragssatz 2020 dann etwa 0,7 Prozentpunkte höher. Statt 21,9 Prozent käme der Beitragssatz dann bei 22,6 Prozent an. Damit wäre sowohl die Vorgabe im Sozialgesetzbuch als auch die Haltelinie verletzt. Das war auch der Arbeitsministerin klar. Daher gehört zum Konzept der Haltelinien noch ein zusätzlicher Demografiezuschuss des Bundes. Er käme zum bisherigen Finanzbeitrag des Bundes (rund ein Drittel der Einnahmen der Rentenversicherung) und den geplanten Zahlungen für die Angleichung der Ostrenten noch hinzu. Dieser zusätzliche Zuschuss war es dann wohl auch, der diesen Teil des Gesamtkonzeptes Alterssicherung im Kabinett zum Scheitern brachte.
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