Der Zinseszins lohnt nicht immer – nutze ihn richtig

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07. Juli 2025

Der Zinseszins lohnt nicht immer – nutze ihn richtig

Der Zinseszins ist ein mächtiges Konzept, das oft schwer verständlich ist, da viele Menschen eher linear denken. Also beispielsweise 1 km in 20 Minuten zu gehen, führt zu 2 km in 40 Minuten.

In der Natur und auch bei finanziellen Aspekten gibt es jedoch auch exponentielle Entwicklungen, die beim Zinseszins die entscheidende Rolle spielen. Ein Beispiel dafür ist das Wachstum von Seerosen auf einem Teich. Wenn sich die Fläche der Seerosen jeden Tag verdoppelt und der Teich nach 100 Tagen halb bedeckt ist, fragt sich, wie viele Tage es dauert, bis der Teich vollständig bedeckt ist. Die Antwort ist 101 Tage, da die Verdopplung des Anteils an einem Tag den Teich am nächsten Tag vollständig bedeckt.

Albert Einstein bezeichnete den Zinseszins als „die stärkste Kraft im Universum“ und das zu Recht, denn der Zinseszins bewirkt eine exponentielle Steigerung des Vermögens, was sich besonders langfristig bemerkbar macht. Ein einfaches Beispiel verdeutlicht dies: Eine Verdopplung an einem Tag entspricht einem Zins von 100 Prozent pro Tag, was auf das Jahr bezogen eine unvorstellbar hohe Rendite von mehr als 100 Nullen ergeben würde. Ein lineares Wachstum würde hier nur zu einer Steigerung von 36.500 Prozent führen, was den enormen Unterschied zeigt.

Welchen Einfluss hat die Höhe des Zinses auf den Zinseszins?

In der realen Welt der Geldanlagen sind die Zinsen jedoch weitaus geringer. Beispielsweise kann eine Aktienanlage eine jährliche Rendite von etwa sechs Prozent bringen, Anleihen eine von drei Prozent und Tagesgeld eine von nur einem Prozent. Diese Zinssätze wirken sich viel langsamer aus, sodass der Unterschied zwischen linearem und exponentiellem Wachstum nicht sofort sichtbar ist.

Beim Zins von einem Prozent beträgt der Unterschied nach zehn Jahren lediglich etwa 0,42 Prozent, nach 30 Jahren steigt dieser auf etwa 3,68 Prozent. Bei sechs Prozent Zinsen wird der Unterschied deutlich größer. Nach zehn Jahren wären es bereits rund zwölf Prozent, nach 30 Jahren mehr als 100 Prozent und nach 50 Jahren rund 360 Prozent mehr Vermögen.

Das macht deutlich: Der Zinseszins wird besonders dann mächtig, wenn höhere Zinssätze vorliegen. Bei einem Zinssatz von sechs Prozent verdoppelt sich das Vermögen etwa alle zwölf Jahre, während es bei einem Prozent Zinsen fast 70 Jahre dauert. Das bedeutet, dass höhere Zinssätze einen dramatisch größeren Einfluss auf den Vermögensaufbau haben, je länger das Geld investiert wird.

Welchen Einfluss hat die Dauer?

Für die Altersvorsorge ist es entscheidend, frühzeitig zu beginnen, da die Zeit der größte Hebel für den Zinseszins ist. Wer mit 20 Jahren beginnt, hat bis zum 65. Geburtstag 45 Jahre Zeit, was zu mehreren Verdopplungen des Vermögens führt. Ein Beispiel: Aus einer Investition von 10.000 € könnten 80.000 € werden, während es bei einem Beginn im Alter von 35 Jahren nur 40.000 € wären. Der Zinseszins zeigt hier deutlich, wie wichtig der frühzeitige Beginn ist, da jede verpasste Verdopplung einen erheblichen Unterschied macht.

Gesucht wird also nach einer Rendite über fünf Prozent und jede Verdopplung mehr macht einen großen Unterschied. Es ist jedoch wichtig, die Inflation bei der Betrachtung des Zinseszinses zu berücksichtigen. Eine jährliche Inflationsrate von zwei Prozent bedeutet, dass die realen Zinsen entsprechend sinken. Auf die kommt es allerdings an.

Beide Effekte kombinieren und die Inflation berücksichtigen

Eine Rendite von neun Prozent würde mit einer Inflation von zwei Prozent nur noch eine realisierte Rendite von sieben Prozent bringen. Bei einer höheren Inflation von vier Prozent sinkt die reale Rendite sogar auf fünf Prozent. Daher ist es ratsam, bei der Altersvorsorge mindestens sieben bis neun Prozent Rendite anzustreben, um von den Vorteilen des Zinseszinses zu profitieren. So hart es klingt – eine langfristige Anlage am Aktienmarkt könnte dafür zu wenig sein, weil Steuern ebenfalls noch gut ein Viertel des Ertrags kosten. Wer aus diesem Grund zehn Prozent oder besser noch zwölf Prozent anstrebt, macht alles richtig, erkennt aber auch, wie schwer die Aufgabe ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Zinseszins eine fundamentale Rolle bei der langfristigen Vermögensbildung spielt. Je früher mit der Geldanlage begonnen wird, desto stärker kann der Zinseszins wirken. Das ist allgemein bekannt. Aber unterschlagen wird eben, dass eine Rendite von sieben Prozent vor Steuern und Inflation bei einer Inflation in Höhe von zwei Prozent nur noch gut drei Prozent reale Rendite ergibt. Die führt zu einer Verdopplungszeit von knapp 25 Jahren, so dass ein früherer Beginn von zehn Jahren keinen großen Unterschied macht. Es hat einen Grund, warum Hedgefonds 20 Prozent Rendite anstreben.


Gastautor Daniel Walther ist promovierter Wirtschaftswissenschaftler und arbeitet jetzt als CEO von Vermögensheld. Er ist seit über 20 Jahren in der Finanzbranche, Finanz-Analytiker, Coach und FAZ-Kolumnist.