Banken haben ältere Kunden kaum im Fokus
Bei den Digitalisierungsoffensiven der letzten Jahre, die zusätzlich durch die Pandemie befeuert wurden, sprachen Banken und andere Finanzdienstleister vor allem jüngere Kunden an.
Ältere Sparer teilen die Begeisterung für digitale Welten häufig nur in Maßen. Sie tendieren eben nicht wie selbstverständlich zu Mobile-Banking, digitalem Bezahlen und Geldanlage via App. Dabei ist gerade diese Zielgruppe für Banken höchst attraktiv.
„Sie verfügen über große Sparvermögen, zeigen eine stärkere Loyalität zur Hausbank sowie eine niedrigere Preissensitivität“, gibt Christian Dierssen, Partner beim international agierenden Management- und Technologieberater Capco, zu bedenken. Das sei eine Mischung, die in den strategischen Überlegungen von Geldhäusern eigentlich mehr Raum verdienen müsste, meint er. Banken sollten viel mehr unternehmen, um die Altersgruppe der 60- bis 75-Jährigen, die auch noch demografisch stark besetzt sind, adäquat zu bedienen.
Fehlanzeige bei AgeTech-Lösungen
Er bringt das Stichwort „AgeTech“ ins Gespräch. Aber auf diesem Gebiet mangelt es derzeit noch an überzeugenden Konzepten. Insgesamt sei die Situation unbefriedigend. „Es gibt eine kleine Gruppe technikaffiner Älterer, die richten sich bei Scalable oder bei N26 ein Konto ein.“ Die meisten Kunden ab 60 aufwärts fänden aber bei ihren Hausbanken kaum technische Lösungen vor, die von ihnen gut angenommen werden. Dabei seien die Voraussetzungen gar nicht so schlecht. Es brauche zum Online-Banking nicht viel. Smartphone, Tablet und Internet. Das hätten die meisten Älteren mittlerweile doch schon. Die Frage sei nur, wie der Zugang zur Kundengruppe organisiert wird.
Hybride Modelle, die das Filialnetz nutzen
Dierssen plädiert für hybride Modelle, die auf das Filialnetz aufsetzen. In den Filialen sollten Schulungen für ältere Kunden stattfinden. „In anderen Branchen klappt das doch schon super. Gehen Sie mal in ein Ladenlokal von Apple. Das gibt es viele Schulungsplätze und dort finden Sie auch viele Senioren. Ich kenne keine Bank, die so etwas in den Filialen schon organisiert“, stellt er ernüchtert fest. „Solche Schulungen schaffen zugleich Vertrauen und Sicherheit. Das sind zwei entscheidende Faktoren bei Älteren.“
Daher will er auch keiner einseitigen Digitalisierung das Wort reden. „Ich bin der festen Überzeugung, dass wir weiterhin Filialen brauchen.“ Ältere erwarten lebendige Ansprechpartner. Wenn ein Problem auftritt, müssen sie jemanden in der Bank anrufen können. Der Chatbot sei kein geeigneter Ersatz für ihre Fragen.
Medizinbranche als Vorbild
Christian Dierssen wählt einen interessanten Vergleich für solch hybrides Vorgehen: „Keiner stellt die Arztpraxen in Frage. Menschen werden auch in Zukunft zum Arzt gehen. Dennoch buchen sie immer öfter Termine online, reichen Rezepte auf Plattformen im Internet ein, schicken Abrechnungen per App an ihren Versicherer.“ Daran könnten sich die Banken ein Vorbild nehmen.
Er räumt ein, dass es einen neuralgischen Punkt beim Online- und Mobile-Banking gibt: den Anmeldeprozess. „Dort herrscht die höchste Absprungrate und die größte Frustration, übrigens nicht nur unter Älteren. Daher müsste für Letzteres etwas Maßgeschneidertes entwickelt werden.“ Aber das sei im ersten Schritt gar nicht erforderlich. Der Anfang müsse doch ohnehin bei den älteren Bestandskunden gemacht werden. Für die aber sei eine Identifizierung gar nicht erforderlich. Die Bank kenne sie doch schon. „Bei denen geht es allenfalls um ein wenig zusätzliche Aufklärung und um die Einrichtung des Online-Zugangs.“ Beides lasse sich mit überschaubarem Aufwand in den Filialen erledigen, behauptet er und kommt damit wieder auf seinen hybriden Ansatz zurück.
Kundenkonzepte enden meist beim Alter 45
Neukundengewinnung in den älteren Kundensegmenten sei doch ohnehin ein schwieriges Unterfangen. „Wer wechselt denn mit 65 oder 70 noch einmal komplett seine Bankverbindung“, fragt Dierssen. Das seien doch ausgesprochen loyale Kunden. Aber um die werde sich, nicht nur bei der Digitalisierung, viel zu wenig gekümmert. Das gelte für die Technologie, aber auch für die Produktangebote. Er hat in seiner beruflichen Karriere schon viele Strategien in Banken begleitet. „Persona-Konzepte, die für solche Strategien angelegt wurden, endeten in aller Regel beim Alter von 45 Jahren.“ Allein das zeige, wie selten Banken den Fokus auf ältere Kunden richten.
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