Das Bundesverfassungsgericht hat die Altersgrenze für Anwaltsnotare aufgehoben. Diese Entscheidung betrifft zwar nur eine relativ kleine Personengruppe, kann aber auf andere Altersgrenzen und Fälle von Altersdiskriminierung Einfluss entfalten.
Vor wenigen Tagen verkündete das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung im Verfahren eines Juristen aus Nordrhein-Westfalen, der gegen die in der Bundesnotarverordnung festgelegte Altersgrenze von 70 Jahren für Notare geklagt hatte. Danach ist die Altersgrenze für Anwaltsnotare unzulässig. Die mit der Verfassung unvereinbar erklärten Regelungen der Bundesnotarordnung sind nur noch bis zum 30. Juni 2026 anwendbar.
Viele werden über dieses Urteil schnell hinweggehen, weil von der verlangten Änderung nur ein sehr überschaubarer Personenkreis überhaupt betroffen ist. Aber für die Diskussion über die Arbeitsmöglichkeit Älterer hat die Entscheidung der obersten Verfassungshüter schon einige Bedeutung. Das lässt sich bereits aus der Begründung des Gerichts ableiten. „Der Gesetzeszweck, die Rechtspflege vor Gefahren durch die altersbedingt nachlassende Leistungsfähigkeit von Notarinnen und Notaren zu schützen, wird durch die Altersgrenze … nur zu einem geringen Grad erreicht“, heißt es in der Pressemitteilung, die nach der Urteilsverkündung verschickt wurde. Eine Altersgrenze werde den Gegebenheiten nicht gerecht, indem sie sämtliche Amtsträger mit dem 70. Lebensjahr ausschließt, ohne dass deren persönliche Disposition berücksichtigt wird.
Unter diesem Blickwinkel sollten sämtliche pauschalisierenden Altersgrenzen einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Es gibt nämlich einige dieser Art. Das beste Beispiel ist die freiwillige Feuerwehr. Dort gilt je nach Bundesland eine Altersgrenze von 65 oder 67 Jahren. Wird sie erreicht, erfolgt in der Regel die Übernahme in die Alters- und Ehrenabteilung. Zu einem Einsatz dürfen die Betroffenen nicht mehr ausrücken. Dabei spielt es keine Rolle, wie fit der Kamerad noch ist. Etliche Berufe unterliegen Altersbeschränkungen: zum Beispiel Polizisten, Richter, Piloten. Selbst Fußballschiedsrichter durften vor Jahren maximal bis zum Alter 47 ein Spiel pfeifen. Diese Regelung des Fußballbundes hat einer von ihnen, Manuel Gräfe, per Klage aus der Welt geschafft.
Individuelle Prüfung statt pauschaler Regelung
Mit Blick auf einige der erwähnten Berufe mag eine Altersgrenze vielen durchaus einleuchten. Einen Piloten, der mit Mitte 70 noch im Cockpit sitzt, vermag sich nun wirklich niemand vorzustellen. Es geht aber um die generalisierenden Beschränkungen solcher Altersgrenzen. Darauf verweist auch das Deutsche Zentrum für Altersfragen (DZA), das eine Stellungnahme im Verfahren zu den Anwaltsnotaren abgegeben hatte. Verallgemeinernde Zweifel an der Berufstauglichkeit ab 70 Jahren seien unbegründet, stellte das DZA fest. Die kognitive Alterung sei stark individuell geprägt und es gebe keine konsistenten Zusammenhänge zwischen Alter und beruflicher Leistung. Wenn gesetzliche Schutzmaßnahmen vor mangelnder Leistungsfähigkeit in einigen Berufen geboten sind, ist eine individuelle Prüfung sicher die bessere Lösung.
Das aktuelle BVG-Urteil ist aber auch über die besonderen Regelungen für bestimmte Berufe hinaus generell für das Arbeitsrecht von Belang. So stellt sich auf der Grundlage dieser Entscheidung zum Beispiel die Frage, ob im Arbeitsrecht eine Regelaltersgrenze überhaupt ihre Daseinsberechtigung hat. Heute ist noch vielfach in Arbeits- oder Tarifverträgen die Festlegung anzutreffen, dass mit dem gesetzlichen Rentenalter das Arbeitsverhältnis automatisch endet. Will der Arbeitnehmer dennoch länger im Job bleiben, ist er auf den Goodwill des Arbeitgebers angewiesen. In der Begründung des BVG-Urteils zu den Anwaltsnotaren nehmen die Richter auch Bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse. So wird darauf verwiesen, dass die Anwaltsnotare Versorgungsansprüche gegenüber ihrem Versorgungswerk haben. Diese Versorgungsleistungen erreichen typischerweise allerdings nicht das Niveau der früheren beruflichen Einkünfte. Damit kann also ein elementares Bedürfnis entstehen, den Beruf weiter auszuüben.
Nachdenken über die Regelaltersgrenze
Diese Argumentation lässt sich auf Arbeitnehmer übertragen. Ihr Einkommen im Rentenalter, sprich die Leistung aus der gesetzlichen Rente, fällt deutlich niedriger aus als das Einkommen im Erwerbsleben. Im Geringverdienerbereich zum Beispiel liegen die Bruttoersatzquoten bei 56 Prozent und damit deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Schon allein deswegen kann ein erhebliches Interesse bestehen, durch zusätzliche Arbeitseinkünfte die Versorgung im Alter zu verbessern. Was im Übrigen politisch und wirtschaftlich gewünscht ist. Sozialrechtlich steht dem nichts im Wege. Ab dem gesetzlichen Renteneintrittsalter konnte schon immer unbegrenzt hinzu verdient werden. Seit 2023 ist dies auch bei vorzeitigem Rentenbeginn möglich. Arbeitsrechtlich wiederum verhindert unter Umständen die Regelaltersgrenze dergleichen. Es besteht also durchaus Handlungsbedarf mit Blick auf diese Altersgrenze, auch wenn das unter den Rechtsexperten bislang nicht die herrschende Meinung ist.