Dreieinhalb Dekaden nach dem 3. Oktober 1990 zeigt sich mit Blick auf ein wiedervereinigtes Deutschland aus demografischer Perspektive ein gleichermaßen differenziertes wie gemischtes Bild.
Viele Kennzahlen haben sich zwischen Ost und West zwar angenähert, zugleich treten neue Unterschiede zutage. Expertinnen und Experten vom Max-Planck-Instituts für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock haben das jüngste Jubiläum der Deutschen Einheit zum Anlass genommen, sich ausgewählte demografische wie rentenpolitische Aspekte in Ost und West näher anzuschauen. Sie stellen ihre Sichtweisen und Denkanstöße in einem exklusiven Beitrag in kurzen Zitaten dar.
Bevölkerung, Migration und Rentenpolitik
Die Bevölkerung Ostdeutschlands ist seit 1990 deutlich geschrumpft, während die westlichen Länder gewachsen sind. Rentenpolitisch hat die Angleichung zwar sichtbare wie spürbare Fortschritte gemacht. Dennoch bleiben mit Blick auf die kommenden Zeiten offene Fragen. Seit der Wiedervereinigung sank die Bevölkerungszahl in den östlichen Bundesländern (ohne Berlin) bis 2024 um rund 16 Prozent, während sie in den westlichen Ländern um etwa 10 Prozent zunahm. Nach Jahren einer leichten Nettozuwanderung aus West nach Ost (2017–2022) kehrte sich der Trend 2023 wieder um: Seither ziehen im Saldo wieder mehr Menschen von Ost nach West. Diese Wanderungsdynamik prägt Alterung, Arbeitsmarkt und regionale Infrastruktur möglicherweise auch in den kommenden Jahren.
Lebenserwartung und Gesundheit
In der Sterblichkeit beziehungsweise bei der Angleichung der Lebenserwartung ist der historische Rückstand weitgehend aufgeholt. Nur bei den Männern besteht weiterhin ein messbarer Abstand. Im Dreijahreszeitraum 2022/2024 lag die Lebenserwartung bei Geburt bei Männern in Westdeutschland um 1,4 Jahre höher als im Osten, bei Frauen dagegen minimal um 0,1 Jahre zugunsten des Ostens. Forschende des MPIDR betonen zugleich, dass vermeidbare Todesursachen (u. a. Ernährung, Tabak, Alkohol) einen Teil der verbleibenden Unterschiede erklären und dass soziale Ungleichheiten – etwa höhere Armutsrisiken von Kindern im Osten – gesundheitliche Chancen langfristig prägen.
Familien, Fertilität und Rente
Die Familiengründung verläuft in Ost und West weitgehend ähnlich, wenn auch nicht identisch. Die allgemeinen Geburtenraten haben sich in den 2000er- und 2010er‑Jahren stark angenähert. 2023 lag die zusammengefasste Geburtenziffer in Ostdeutschland bei 1,33 Kindern je Frau, in Westdeutschland bei 1,41. Unterschiede im Muster bestehen fort: Frühe Erstgeburten und Ein‑Kind‑Familien sind im Osten verbreiteter, Zwei‑Kind‑Familien im Westen häufiger. Zum 1. Juli 2023 wurde der aktuelle Rentenwert in Ost und West vollständig angeglichen. Seither gilt ein bundeseinheitlicher Rentenwert. Der Beitragssatz liegt 2025 bei 18,6 Prozent und die Regelaltersgrenze steigt – wie gesetzlich festgelegt – schrittweise bis 2029 auf 67 Jahre. Damit ist die rentenpolitische Angleichung formal vollzogen. Demografiebedingt bleiben jedoch Fragen der Finanzierung (Beitragssätze, Erwerbsbeteiligung Älterer, qualifizierte Zuwanderung) und der regional unterschiedlichen Lebenslagen.
Ein kurzes Fazit und mögliche Perspektiven
Deutschland ist 35 Jahre nach der Einheit demografisch enger zusammengerückt. Der Osten altert jedoch schneller, weil die Bevölkerung seit 1990 stärker geschrumpft ist und Wanderungen dem Westen jüngeren Zuzug bringen. In der Rente ist die formale Gleichheit zwar hergestellt, doch es bleiben Differenzen, die unter anderem auf nach wie vor unterschiedlichen Lohn- und Produktivitätsniveaus resultieren. Insofern bleiben künftige Entwicklungen abzuwarten. Denn letztlich hängt die Tragfähigkeit unserer sozialpolitischen Systeme weiterhin von Produktivität, Erwerbsbeteiligung, Zuwanderung und einer verlässlichen Politik ab – und zwar in Ost wie West, also in einer deutschen Republik.