Um den Übergang eines Unternehmens von einer Generation zur nächsten frühzeitig zu gestalten, kann eine Familienstrategie ein sinnvolles Konzept sein. Sie gibt einer Unternehmerfamilie ein eigenes Regelwerk, das Leitplanken für unruhige Zeiten und ein konstruktives Miteinander bietet.
Die Nachricht lässt aufhorchen: Immer mehr Firmen in Deutschland geben auf. Laut einer aktuellen Erhebung der Auskunftei Creditreform und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) lag die Zahl der Unternehmensschließungen 2024 bei 196.100. Das waren 16 Prozent mehr als 2023. Registriert wurden nicht nur klassische Insolvenzen, sondern ebenfalls mehr oder minder freiwillige Geschäftsaufgaben. Ein wichtiger Grund, warum so viele Unternehmer – darunter sehr viele kleine inhabergeführte Betriebe – das Handtuch warfen: Sie finden einfach keinen Nachfolger – auch nicht in der eigenen Familie.
Wie kann dem vorgebeugt werden? „Um das Familienunternehmen und nicht zuletzt auch das Vermögen der Familie über die nächste Generation hinweg zu sichern, ist eine klare Strategie wichtig“, sagt Maximilian Kleyboldt, CFP® und Vorstand des Financial Planning Standards Board Deutschland e.V. (FPSB Deutschland). Es geht bei einer Nachfolge nicht nur um die steuerlich und rechtlich richtige Gestaltung. Eine Familienstrategie dient durch die Entwicklung verbindender Werte und Perspektiven dem Familienzusammenhalt. Sie stärkt die Identifikation mit dem Vermögen und mit verschiedenen Interessen.
Frühzeitig klare Regeln und Pläne aufstellen
Es werden mit zentralen Leitlinien so die Bereiche Familie – Unternehmen – Gesellschafter verbunden und aufeinander abgestimmt. Dabei sollten sämtliche Optionen und Szenarien im Detail durchgespielt werden. „Es ist entscheidend, die Bedürfnisse, Erwartungen und Wünsche der einzelnen Familienangehörigen in die Lösung miteinzubeziehen“, so der Estate Planner und fügt hinzu: „Nur wer frühzeitig klare Regeln und Pläne entwickelt um festzulegen, wer das Unternehmen übernimmt, zu welchem Zeitpunkt und wie das Vermögen innerhalb der Familie verteilt wird, vermeidet Streit und unnötige Konflikte.“
Ein ideales Werkzeug dafür ist die sogenannte Familienstrategie. Sie schafft Strukturen, wo bisher keine waren. Sie sorgt für Stabilität, verbessert die Handlungsfähigkeit und erleichtert das Miteinander innerhalb der Familie. „All das trägt letztendlich dazu bei, das Familienunternehmen langfristig stabil und erfolgreich zu führen“, erläutert Kleyboldt, zugleich Direktor im Wealth Planning bei der Bethmann Bank. Somit sind neben rechtlichen und steuerlichen Aspekten in der Vermögensnachfolge auch familiäre Aspekte zu beachten.
Moralische Verpflichtung, keine rechtliche Bindung
„Ein Unternehmen braucht eine Unternehmensstrategie. Ein Familienunternehmen braucht zusätzlich eine Familienstrategie“, stellt Kleyboldt fest. Bei der Familienstrategie geht es um eine gemeinsame Strategie, die alle in der Familie mit einbezieht. Im Ergebnis handelt es sich um schriftlich niedergelegte Regeln für die Mitglieder einer Unternehmerfamilie. Diese Regeln verpflichten die Mitglieder moralisch, aber nicht rechtlich. Die Familienstrategie oder auch die dokumentierte Familienfassung beinhaltet Regeln für eine langfristige Strategie der Unternehmerfamilie. Darüber hinaus bestimmt die Familienstrategie das grundsätzliche Verhältnis zwischen der Familie und dem Unternehmen, sie dient der Konfliktvermeidung und auch der Konfliktbewältigung.
Aber auch ohne Unternehmen können entsprechende Werte und Regeln in einer Familienstrategie formuliert werden. Eine Familienstrategie legt fest, wie die Nachfolge geregelt wird, wer das Unternehmen übernimmt, wie Konflikte vermieden oder gelöst werden können. Zudem beinhaltet sie oft Regelungen zu finanziellen Fragen, Rollenverteilungen und Verantwortlichkeiten sowie zur Bewahrung der Werte und Visionen des Unternehmens. Ziel ist es, den Übergang möglichst reibungslos, fair und langfristig erfolgreich zu gestalten, damit das Unternehmen auch in der nächsten Generation stabil bleibt. In der Familienstrategie gilt es, die inhaltliche Richtung „Was will die Familie?“ vorzugeben. Die Familienverfassung – oder auch Familien Governance genannt – schafft die Strukturen und Prozesse, wie Entscheidungen getroffen und Konflikte vermieden werden.
Reibungslos geht es in den seltensten Fällen
Doch aus seiner Beratungspraxis weiß Kleyboldt auch, dass ein reibungsloser Übergang in den seltensten Fällen gelingt. Konflikte innerhalb der Familie treten insbesondere bei anstehenden Veränderungen wie beispielsweise bei der Nachfolge offen zu Tage. „Es gibt viele klassische familiäre Stolpersteine beim Generationswechsel. Dazu gehören neben einer grundsätzlich schlechten Kommunikation und mangelnder Transparenz zum Beispiel auch eine mögliche Geschwisterrivalität oder eine große geographische Distanz mancher Familienmitglieder“, berichtet Kleyboldt. Auch deshalb ist die professionelle Unterstützung bei der Erstellung einer Familienstrategie so essentiell. Ein Estate Planner kann die handelnden und betroffenen Personen an einen Tisch bringen und bei der Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse und Wünsche der Familie, einschließlich der Gestaltung von Familienstrukturen, helfen.
Entscheidend ist zunächst die ganzheitliche Analyse, also eine gemeinsame Erarbeitung individueller Frage- und Problemstellungen in Bezug auf die Familie und das Unternehmen. Dieser erste Schritt bildet die Basis für die Entwicklung einer Strategie als individuelles Lösungspaket. „Es geht im Grunde darum, die bestehenden Merkmale und Wechselbeziehungen der Familie zu erkennen, um auf dieser Basis eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, wie und nach welchen Zielen und Werten die Zukunft von Familie und Unternehmen gestaltet werden soll“, sagt Kleyboldt. Die Familienstrategie sorgt für Klarheit im Grundsätzlichen im Umgang miteinander. Insoweit ist sie rechtlichen Regelungen wie Gesellschaftsvertrag und Testament gegenüber separiert anzusehen und liefert künftigen Änderungen den Rahmen.
Gemeinsames Bild für die Zukunft
„Die Bausteine einer Familienstrategie lassen sich mit den Elementen `Gemeinsames Bild für die Zukunft, Corporate Governance und Family Governance´ beschreiben“, führt Kleyboldt aus. Es müssen Fragestellungen der Mitgliedschaft, des Selbstverständnisses und der Corporate Governance geklärt werden. Wer darf Inhaber werden? Wie organisieren wir als Familie einen wachsenden Gesellschafterkreis? Wer gehört zur Unternehmerfamilie? Das sind einmal das Unternehmen betreffende Regelungen, die gefunden werden müssen, es bedarf aber auch familienorientierter Regelungen: wie wollen wir innerhalb der Familie miteinander umgehen? Wie wollen wir den Zusammenhalt der Familie stärken mit gemeinsamen Aktivitäten? Hier spricht man auch von Familien Governance. In diesem Zusammenhang wird z. B. das Instrument eines Familientages oder einer Familienkonferenz eingeführt, wo man sich zu festgelegten Tagen regelmäßig im Jahr tritt. Hier gilt es auch, die Next Generation heranzuführen. „Grundsätzlich ist die Familienstrategie zwischen Privat- und Betriebsvermögen angesiedelt“, erläutert der FPSB-Vorstand.