Der Crash am Aktienmarkt, den US-Präsident Trump mit seiner Zollpolitik verursacht hat, war bereits nach wenigen Wochen vorüber. Doch einige Anleger sind wegen der Schärfe des Einbruchs auf dem falschen Fuß erwischt worden und haben ihre Aktien bzw. Fonds verkauft. Vermögensverwalter Mirko Kohlbrecher von der Spiekermann & CO AG blickt auf die Entwicklung der zurückliegenden Monate.
Wer kurz darauf nicht wieder in Aktien eingestiegen ist, sah den Börsenzug förmlich davonrasen. Wie beurteilen Sie die Lage?
Die meisten Anleger lassen sich bei Entscheidungen zur Geldanlage von ihren Emotionen leiten, statt idealerweise nüchtern und objektiv zu bleiben. In kritischen Situationen wie im März und in den ersten Aprilwochen führt das zu schlechten Entscheidungen, die dem langfristigen Interesse der Anleger widersprechen. Aber es gibt Optionen, um sich davor zu schützen.
Was ist denn das langfristige Interesse der Anleger?
Wir beobachten viele emotionale Gründe, warum Menschen ihr Geld am Aktienmarkt investieren, aber es gibt nur ein wirklich rationales Motiv: Vernünftige Anleger wollen über die Zeit hinweg eine Rendite erwirtschaften, mit der sie sich in Zukunft nach Abzug der Inflation mehr leisten können, als wenn sie das Geld einfach auf dem Bankkonto gelassen hätten. Das gelingt in der Regel aber nur, wenn sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg investiert bleiben. Nur so können sie voll vom Zinseszins-Effekt profitieren, der kleinere Summen in größere Vermögen verwandelt.
Wer bei Ereignissen wie Trumps Zollpolitik oder dem Corona-Crash 2020 kopflos verkauft, unterbricht also den Zinseszins-Effekt?
Genau! Es wurde schon mehrfach nachgewiesen, dass Privatanleger, die den Markt mit Käufen und Verkäufen timen möchten, bei der Rendite in aller Regel deutlich schlechter abschneiden als Investoren, die ihr Geld ohne Unterbrechung investiert hatten. Daher kann sich in ihren Depots der Zinseszins-Effekt nicht so gut entfalten wie bei Dauer-Investoren.
Systematische Regeln für den Ein- und Ausstieg fehlen
Wie groß ist diese Differenz beim Zinseszins-Effekt?
Eine namhafte Bank hat hierzu Daten von Hunderttausenden Depots ausgewertet. Dabei zeigte sich: Von Anfang 2019 bis Mitte 2024 haben Anleger, die online handelten – über die App und die Website der Bank – eine jährliche Rendite von 5,2 Prozent erzielt. Das entspricht in fünfeinhalb Jahren einer Gesamtrendite von 32 Prozent. ETF auf den MSCI World kamen in dieser Zeit jedoch auf eine jährliche Rendite von zwölf Prozent – das entspricht einem Wertzuwachs von gut 85 Prozent!
Woher rührt das schlechte Abschneiden?
Privatanleger haben meist keine systematischen Regeln für Ein- und Ausstiege in bzw. aus dem Aktienmarkt, sondern folgen dem schon erwähnten Bauchgefühl. Wer vom Bauch gesteuert den Markt timen will, verkauft in der Regel, wenn er die Nerven verliert – das ist meist in der Nähe des Tiefpunktes. Startet der Markt dann wieder durch, sind die wenigsten fähig, sich den Fehler des Verkaufs einzugestehen und wieder einzusteigen. Meist schaffen sie das erst deutlich später. Die Rendite-Differenz rührt von diesen beiden Faktoren her.
Wie kann man sich dagegen wappnen?
Die wichtigste Erkenntnis ist: Wenn Sie ihre Aktien verkaufen, riskieren Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass Sie finanziell auf Dauer schlechter dran sind als jemand, der in kritischen Phasen durchhält. Aus diesem Grund sollten Sie emotionsgetriebene Verkäufe auf jeden Fall vermeiden.
Und die zweitwichtigste Erkenntnis?
Hier geht es darum, wie sich Anleger am besten schützen. Wir empfehlen, in kritischen Phasen wie im März/April möglichst wenig Nachrichten zu konsumieren und vor allem auf Wirtschafts- und Finanz-News zu verzichten. Die News schaffen keinen Mehrwert, sondern können Anlegern schaden, weil sie sie tendenziell zu kopflosem Handeln verleiten. Zudem basiert die Meinung, man müsse stets über den Weltenlauf informiert sein, auf einem Irrtum: An den Finanzmärkten ist das Wichtigste nicht, was in der Welt passiert, sondern wie die Märkte darauf reagieren.