Wie gut steht Deutschland bei der Gesundheitsversorgung im europäischen Vergleich da? Eine aktuelle Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der Privaten Krankenkassen (WIP) liefert differenzierte Antworten.
Die unlängst veröffentlichte Dokumentation zeigt: Beim Zugang zur Gesundheitsversorgung gehört Deutschland zur europäischen Spitze. Der Gesundheitszustand der Bevölkerung hingegen bleibt hinter den Erwartungen zurück. Daran ändern auch die vergleichsweise hohen Ausgaben und Kosten nichts. Schuld daran sind vor allem anhaltend ungesunde Lebensgewohnheiten.
Deutschland investiert viel in sein Gesundheitssystem. Dieser finanzielle Aufwand zeigt durchaus Wirkung. Die Studie attestiert der Bundesrepublik einen sehr guten Zugang zur Gesundheitsversorgung. Nahezu die gesamte Bevölkerung ist durch eine gesetzliche oder private Krankenversicherung abgesichert. Die Leistungen sind umfassend. Die Selbstbeteiligung der Patienten ist im internationalen Vergleich gering. Das gilt selbst für einen neuen Arzttermin, auch wenn dies individuell mitunter vielleicht anders empfunden wird. Organisatorische Hürden beim Zugang – etwa lange Wartezeiten oder geografische Barrieren – sind letztlich weniger ausgeprägt als in vielen anderen Ländern. Auch der Anteil der Menschen, die aus Kostengründen auf Arztbesuche verzichten, ist mit 0,5 Prozent deutlich niedriger als im EU-Durchschnitt (2,4 Prozent). Mit Gesundheitsausgaben in Höhe von 12,8 Prozent des BIP belegt Deutschland Platz zwei hinter den USA. Damit liegen wir deutlich über dem EU-Schnitt von 9,9 Prozent. Dennoch zeigt sich: Mehr Geld bedeutet nicht zwangsläufig bessere Ergebnisse.
Gesundheitszustand: Gute Eigenwahrnehmung, objektive Defizite
65 Prozent der Deutschen schätzen ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut ein. Die objektiven Indikatoren zeichnen jedoch ein anderes Bild. Die Lebenserwartung liegt mit 81,1 Jahren knapp unter dem EU-Durchschnitt (81,3 Jahre). Die Sterblichkeitsrate durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist allerdings hierzulande überdurchschnittlich hoch (237 vs. 215 Todesfälle je 100.000 Einwohner). Auch die vermeidbare Sterblichkeit fällt mit 161 Personen über dem EU-Mittel von 153 aus. Diese Diskrepanz zwischen subjektivem Empfinden und tatsächlicher Gesundheitslage verweist auf ein zentrales Problem. Prävention und Gesundheitsförderung werden in Deutschland noch nicht mit der gleichen Konsequenz betrieben wie der Zugang zur Versorgung.
Lebensstil als Schwachstelle
Ein wesentlicher Grund für den schlechteren Gesundheitszustand liegt in ungesunden Lebensweisen. Der Anteil übergewichtiger Erwachsener beträgt in Deutschland 54 Prozent. Davon gelten 23 Prozent sogar als fettleibig. Das ist fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Zudem verschärfen Rauchen (22 Prozent) und ein hoher Alkoholkonsum (11 Liter reiner Alkohol pro Kopf und Jahr) die Lage zusätzlich. Diese Risikofaktoren schlagen sich direkt in der Morbidität und Mortalität nieder – und sind wesentlich für das Missverhältnis zwischen hoher Versorgungsqualität und mittelmäßiger Gesundheit verantwortlich.
Die Gesundheitsversorgung in Deutschland ist leistungsfähig und breit zugänglich. International sehen viele Betrachter unser Gesundheitssystem durchaus als führend an – von der anfälligen Finanzierung und den notwendigen staatlichen Zuschüssen einmal abgesehen. Doch ohne ein konsequentes Umdenken beim Thema Prävention und Lebensstil bleiben viele Potenziale weiterhin ungenutzt. Die WIP-Analyse liefert damit auch den politischen Entscheidern der neuen Bundesregierung einen klaren Handlungsauftrag: Wer Ergebnisse wie diese nachhaltig verbessern will, muss die Verhaltensprävention systematisch verankern. Dazu sind motivierende Angebote und leicht zugängliche Maßnahmen notwendig, um immer mehr Deutsche auf den Weg in eine gesunde Zukunft mitzunehmen.