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Plattformarbeit: Hürden für soziale Absicherung

Als stetig wachsendes Phänomen einer modernen Arbeitswelt wirft Plattformarbeit die Frage nach der sozialen Absicherung auf. Auf dem Weg zum Sozialversicherungsschutz warten allerdings einige Stolpersteine.

Die während der pandemiebedingten Lockdowns durch leergefegte Innenstädte radelnden Boten diverser Fahrrad-Essenslieferdienste haben in dieser Ausnahmezeit nicht nur die Versorgung mit Mahlzeiten und Einkäufen sichergestellt, sondern darüber hinaus ein Phänomen ins öffentliche Bewusstsein geholt, das bislang nur in einer von vielen unbeachteten Nische existierte. Sogenannte Plattformarbeit ist eine neue Arbeitsform, die sich durch die starke Verbreitung von arbeitsvermittelnden Internetplattformen zunehmender Popularität erfreut.

Die Gründe, sich als Plattformarbeiter zu verdingen, sind dabei individuell höchst unterschiedlich. Manchen ist die flexible und ohne Arbeitsvertrag, zumeist eher schlecht bezahlte und sozialversicherungsfreie Arbeit ein kleiner Zuverdienst. Anderen fehlen Alternativen eines „Normalarbeitsverhältnisses“. Wiederum andere sind von keinerlei Monetarisierungsinteresse geleitet. Die verschiedensten Motivationen und Arbeitsbedingungen sind mit Plattformarbeit verknüpft. Dementsprechend schwer fällt es, das Phänomen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Den Plattformarbeiter gibt es nicht.

Eines macht die Vermessung der Plattformökonomie jedoch ersichtlich. Es handelt sich um einen äußerst stark wachsenden Bereich. Nicht zuletzt deshalb ist die Frage nach dem Sozialversicherungsschutz der Plattformarbeiter dringlich. In der öffentlichen Debatte mehren sich Zweifel, ob unsere sozialen Sicherungssysteme passende Antworten auf diese neuartige Arbeitsform zu geben vermögen. In einer Studie geht das Deutsche Institut für Altersvorsorge (DIA) dieser Frage nach. Diese identifiziert eine Reihe von Hürden für eine ausreichende Altersabsicherung von Plattformarbeitskräften.

Selbständig oder nichtselbständig?

Eingangs ist festzustellen: Der Problematik wird bislang eher ausgewichen. Plattformarbeiter gelten in der Regel als Selbständige, denen – so will es die Logik des deutschen Sozialversicherungsrechts – Eigenvorsorge zugemutet werden kann. Die deutsche Sozialversicherung knüpft an das Vorliegen einer Beschäftigung an. Bis auf wenige Ausnahmen wird nur in solchen Fällen Schutzbedürftigkeit angenommen. Doch es ist im Hinblick auf Plattformarbeit keineswegs so eindeutig, ob diese als Selbständigkeit zu qualifizieren ist. Ob eine schutzbedürftige Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts vorliegt oder nicht, ist stets anhand der tatsächlichen Gegebenheiten zu beurteilen.

Wurde bisher den Plattformen in ihrer Sichtweise gefolgt, sie seien bloße Vermittler, gerät diese Auffassung durch Gerichtsentscheidungen ins Wanken. Blickt man genauer hin, so spricht auch tatsächlich einiges dafür, von einer abhängigen Beschäftigung auszugehen. Vor allem die den Plattformen eigene algorithmische Steuerung wirkt derart beschränkend, dass in vielen Fällen kaum noch von einer freien Gestaltung der Tätigkeit auszugehen ist. Es sind allerdings auch eben diese Algorithmen, die die Klärung der Statusfrage in Einzelfällen so schwierig gestalten. Sie machen die Plattform zu einer Blackbox. Eine Prüfung der Vorgehensweisen im Hinblick auf Arbeitszuteilung, Leistungserbringung oder etwaige Sanktionen ist beinahe unmöglich.

Erschwerend kommt hinzu, dass ein auf algorithmischer Steuerung basierendes Geschäftsmodell stets nur eine Momentaufnahme ermöglicht. Algorithmen lassen sich schließlich auch ändern. Weil es spezielle Vorschriften hinsichtlich des sozialrechtlichen Status von Plattformarbeitern in Deutschland nicht gibt, hängt ein entsprechender Versicherungsschutz von gerichtlichen Entscheidungen in Einzelfällen oder von der Entscheidung von Plattformen ab, mit den Arbeitskräften ein Arbeitsvertragsverhältnis eingehen zu wollen.

Unregelmäßigkeit der Einkommen

Die Klärung der Statusfrage allein reicht in der Praxis allerdings noch nicht aus, Plattformarbeitskräfte in die Sozialversicherung einzubeziehen. Insbesondere in der Rentenversicherung stehen die faktischen Gegebenheiten der Plattformarbeit einer ausreichenden Absicherung oftmals entgegen. In der Praxis kommt die Flexibilität von Plattformarbeit in stark schwankenden Arbeitsvolumina und damit einhergehenden schwankenden Einkommen zum Ausdruck. Gerade im Bereich der Alterssicherung wird daher die enge Kopplung von Erwerbseinkommen und Rentenhöhe zum Problem.

Einmal mehr zeigt sich am Beispiel der Plattformökonomie, dass ein Ausgleich schwankender Einkommen im Lebensverlauf ein Ansatz zu einem Alterssicherungssystem sein kann, das auf der Höhe der Zeit veränderter Lebens- und Erwerbsverläufe angekommen ist.

Plattformarbeit kennt keine nationalen Grenzen

Plattformarbeit ist nicht nur im Hinblick auf ihre große Flexibilität ein durch und durch modernes Arbeitsphänomen. Ebenso hat man es dabei mit einer Form des Arbeitens zu tun, die sich insofern von herkömmlichen Arbeitsformen unterscheidet, als sie – zumindest teilweise, nicht selten aber vollständig – im digitalen Raum stattfindet. Besondere Probleme wirft Plattformarbeit als Internetphänomen auf, weil sie häufig grenzüberschreitende Sachverhalte enthält.

Im Extremfall können drei Länder beteiligt sein. Jenes der Arbeitskraft, jenes des Leistungsempfängers und jenes des Plattformsitzes. Daher stellt sich die Frage des anwendbaren Rechts und dessen Durchsetzbarkeit. Lässt sich die Frage des anwendbaren Rechts noch relativ einfach durch das dem Sozialversicherungsrecht zugrundeliegende Territorialitätsprinzip beantworten, so wird die Frage aber spätestens dann problematisch, wenn es um die Einhebung der Sozialbeiträge geht. Es stellt sich in der Praxis als schwierig heraus, grenzüberschreitende Plattformarbeit adäquat zu erfassen, geschweige denn, ausländische Plattformen dazu zu bringen, Beiträge für deutsche Sozialversicherungsträger einzuziehen.

Formale vs. faktische Absicherung

Die dargestellten Probleme rund um die soziale Absicherung von Plattformarbeit lassen bereits erahnen: Soll dieser Frage auf den Grund gegangen werden, gilt es stets, zwei Aspekte zu berücksichtigen. Mögen formal gesehen gesetzliche Regelungen für Plattformarbeitskräfte einen Zugang zu sozialer Absicherung vorsehen, dann bedeutet dies noch lange nicht, dass auch die faktische Absicherung der Betroffenen zufriedenstellend ausfällt. Zwar gibt es auch in anderen Bereichen Schutzlücken, die auf fehlendes Wissen oder fehlenden Willen zur Vorsorge zurückgeführt werden. Im Bereich der Plattformarbeit kommt jedoch noch hinzu, dass bei Plattformarbeit als Nebenjob oftmals die Absicherung über einen Haupterwerb als ausreichend erachtet wird.

Zudem haben wir es bei Plattformarbeit zum größten Teil mit äußerst geringen Einkommen zu tun. Dazu kommt noch, dass Plattformarbeit in vielen Fällen bzw. in den Augen vieler Betroffener der verbindliche Arbeitscharakter fehlt. Mit ihrem leichten Zugang, der Möglichkeit kurzfristig und nebenbei Tätigkeiten auszuüben, die nicht selten als Hobby aufgefasst werden, wird Plattformarbeit häufig im Freizeitbereich verortet. Diese besonderen Merkmale von Plattformarbeit sind nicht zuletzt zu bedenken, wenn die Frage der sozialen Absicherung von Plattformarbeit pauschal dem Thema der Absicherung von Selbständigen zugeschlagen wird.

Angesichts des dynamischen Wachstums des Sektors ist dringend angeraten, die Frage nach dem Sozialversicherungsschutz von Plattformarbeitern zu klären. Ins Kalkül zu ziehen ist dabei, dass es nicht nur darum geht, auf individueller Ebene Zugang zum Sozialversicherungssystem zu schaffen. Ebenso sind auf gesellschaftlicher Ebene Szenarien zu verhindern, in denen die fehlende Absicherung von sich ausbreitender Plattformarbeit in letzter Konsequenz steuerfinanzierte Sozialleistungen erforderlich macht.


Nora Stampfl von f/21 Büro für Zukunftsfragen ist die Autorin der DIA-Studie „Was wird aus der Rente bei Gig- und Clickwork?