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Wirksame Medizin bei akuter Trägheit

Trägheit und Prokrastination sind die Feinde privater Altersvorsorge. Wie sich innere Widerstände in einen Vorteil für die Alterssicherung ummünzen lassen, zeigt der verhaltensökonomische Ansatz „Save More Tomorrow“.

Es könnte so einfach sein: Würden Menschen während ihrer Arbeitsjahre nur ausreichend Geld beiseitelegen, stünde einer auskömmlichen Rente im Alter nichts im Wege. Doch die Realität sieht anders aus. Vor allem der Trägheit wegen.

Obwohl seit Jahren angesichts zunehmender Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Rentenversicherung auf die Notwendigkeit privaten Alterssparens hingewiesen wird, ziehen die Aufrufe nur unzureichend Konsequenzen nach sich: Privates Alterssparen bleibt hinter dem erforderlichen Niveau zurück, um die Rentenlücke zu schließen.

Wäre der Mensch jener streng rationale Nutzenmaximierer, wie ihn die klassische Ökonomie annimmt, wäre es kaum zu erklären, dass so viele die Altersvorsorge auf die lange Bank schieben und dann nicht selten vollends unterlassen. Aus verhaltensökonomischer Sicht verabschiedet man sich daher von der Modellvorstellung des homo oeconomicus und berücksichtigt eine Reihe von Verhaltensanomalien, die vernünftigem Handeln oftmals einen Strich durch die Rechnung machen.

Gegenwart überbewertet, Zukunft unterschätzt

In vielen Fällen folgt menschliches Handeln nicht rationalem Kalkül, sondern wird beeinträchtigt davon, dass der Mensch ein Problem der Selbstkontrolle hat und den langfristigen Nutzen nur zu gerne dem Augenblicksvorteil opfert. Man denke nur an Neujahrsvorsätze: Kurz vor Silvester nimmt man sich vor, regelmäßig Sport zu treiben und gesünder zu essen. Sobald das neue Jahr angebrochen und die Zukunft zur Gegenwart geworden ist, sind die meisten Vorsätze bereits gebrochen. Die Verhaltensökonomie sieht den Grund dafür in Gegenwartspräferenz – einer Überbewertung der Gegenwart gegenüber der Zukunft. Private Altersvorsorge ist jedoch gerade darauf angewiesen, gegenwärtigen Konsum zugunsten von zukünftigem Konsum einzuschränken.

Konsumverzicht als gefühlter Verlust

Auch die menschliche Tendenz, Verluste weitaus stärker zu gewichten als Gewinne, steht Sparanstrengungen entgegen. Verlustaversion verhindert Altersvorsorge, weil Sparen stets Hand in Hand geht mit Konsumverzicht und ein solcher mental als Verlust erscheint. Zudem fehlt es in vielen Fällen am nötigen Maß an Selbstkontrolle, um Konsumgewohnheiten zu verändern.

Nachteiliges Beharrungsvermögen

Die Verhaltensökonomie beobachtet zudem, dass der Mensch in manchen Dingen ein erstaunliches Beharrungsvermögen aufweist. Anders ist es nicht zu erklären, dass beispielsweise hinsichtlich der Organspendequote zwischen Deutschland und Österreich ein immenser Unterschied klafft. In Deutschland dürfen Organe nur nach ausdrücklicher Zustimmung zu Lebzeiten entnommen werden, während in Österreich – wie in den meisten EU-Ländern – die Widerspruchslösung gilt. Die Alpenrepublik nimmt im internationalen Vergleich bei Organtransplantationen eine Position in den vordersten Rängen ein. In ähnlicher Weise halten Prokrastination und Inaktivität viele Menschen im Bereich der Altersvorsorge davon ab, sich mit dem Thema zu befassen und sich aktiv um ausreichende Altersabsicherung zu kümmern, obwohl Aufschieben und Nichtstun entscheidende Auswirkungen auf die Lebensqualität im Alter haben.

Ein Schubs zu besserer Altersvorsorge

Mit ihrer – als Handelsmarke registrierten und vermarkteten – verhaltensökonomischen Intervention „Save More Tomorrow“[1] (SMarT-Programm) umgehen Richard Thaler und Shlomo Benartzi die geschilderten psychologischen Hindernisse. Mit Hilfe von drei zentralen Elementen werden die beschriebenen mentalen Schwachstellen im Zusammenhang mit Sparen ausgetrickst.

Erfolgreich in der Praxis erprobt

Thaler und Benartzi konnten in verschiedenen Betrieben zeigen, dass sich die simple Idee ihres SMarT-Programms, Menschen im Voraus zu verpflichten, einen Teil ihrer künftigen Gehaltssteigerungen in die Altersvorsorge fließen zu lassen, in der Praxis bewährt und einen enormen Einfluss auf das Sparverhalten hat. Der überwiegende Anteil der zu „Save More Tomorrow“ eingeladenen Personen folgt dieser Einladung und eine Mehrheit davon verbleibt dann auch im Programm. Über die Zeit von vier Gehaltssteigerungen hinweg konnten die Teilnehmenden ihre Sparquote beinahe vervierfachen.

Sanfte Form von Paternalismus

Taugt „Save More Tomorrow“ also als Blaupause dafür, die Säule der privaten Altersvorsorge zu stärken? Der Effektivität des Programms steht entgegen, dass Nudging-Ansätze generell dem Vorwurf des Paternalismus ausgesetzt sind. Auch „Save More Tomorrow“ ist paternalistisch angelegt – was Thaler und Benartzi auch freimütig zugeben. Dennoch: Die Ergebnisse sprechen für sich, verteidigen die Verhaltensökonomen ihren Ansatz. Weil Teilnehmende sich jederzeit zum Opting-Out entschließen können und damit keinerlei Zwang ausgeübt wird, sei „Save More Tomorrow“ als Anwendungsfall eines „libertären Paternalismus“ zu begreifen, wie Thaler und Sunstein[2] jene sanfte Form des Paternalismus bezeichnen, welcher einen Spagat zwischen Oktroy und individueller Autonomie quasi zur „Rettung der Vernunft“ schafft. Weil das Endergebnis der Altersabsicherung zähle und Freiheit gewahrt bleibe, so könnte man Thaler und Benartzi interpretieren, lasse sich gegen einen kleinen Schubs zu besserem Sparverhalten kaum etwas einwenden.


[1] vgl. Thaler, Richard H.; Benartzi, Shlomo (2004): Save More Tomorrow™: Using Behavioral Economics to Increase Employee Saving. In: Journal of Political Economy, 112 (1), S. 164-187.

[2] vgl. Thaler, Richard H.; Sunstein, Cass R. (2003): Libertarian Paternalism. American Economic Review, 93 (2), S. 175–179.