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Nachhaltigkeit – vom Washing und Bashing

Der persönliche Nachhaltigkeitskompass stimmt nicht unbedingt mit dem überein, was die EU-Taxonomie vorgibt. Das ist nicht neu. Das Verständnis von Nachhaltigkeit hängt ab, ähnlich wie Moral und Ethik, von der Prägung durch das kulturelle, gesellschaftliche und familiäre Umfeld.

Die EU-Taxonomie definiert Nachhaltigkeit im wirtschaftlichen Sinne als eine Tätigkeit, die zumindest eines der folgenden Themen positiv unterstützt: Klimaschutz, Anpassung an den Klimawandel, nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Dabei darf keines der anderen Ziele negativ beeinträchtigt werden. Die besondere Voraussetzung besteht darin, dass diese Einordnungen für 27 EU-Mitgliedsstaaten mit zum Teil sehr unterschiedlichen Gesellschafts- und Kulturkreisen gilt. Unterschiedliche Nachhaltigkeitspräferenzen in den jeweiligen Bevölkerungen sind daher nachvollziehbar.

Fokus auf ökologischem Impact

Anlageprodukte, die eine nachhaltige Wirkung erzielen sollen, nutzen acht verschiedene „Werkzeuge“: ESG-Integration, Ausschlüsse, Best-in-Class, normbasiertes Screening, Engagement, Stimmrechtsausübung, Themenfonds und Impact-Investing. Es ist verständlich, dass wegen der aktuellen Diskussion zum Klimawandel insbesondere positive Umwelteinflüsse bei einer Investition erwünscht sind. Hier hätten dann die letzten beiden Selektionsmöglichkeiten Impact-Investing und Themenfonds die höchste Wirkung. Häufig gehen Privatanleger mit dieser Intention in ein Beratungsgespräch und erwarten ein Angebot mit dem Schwerpunkt ökologische Wirkung.

Greenwashing-Verdacht schnell erhoben

Daher sollten Anbieter und Berater gegenüber Anlegern mit offenen Karten spielen, was die Finanzebene bewirken kann und was nicht. Anderenfalls entsteht erhebliches Enttäuschungspotential. Der Gesprächsbedarf erhöht sich bei einem differenzierten Blick in ein „nachhaltiges Fondsportfolio“ nach der EU-Taxonomie. Findet sich unter den ersten Positionen dann kein Bezug zu einer direkten ökologischen Wirkung und tauchen zunächst Werte wie Microsoft, NVIDIA oder Visa auf, wird schnell vom Greenwashing gesprochen.

Nachhaltigkeit hat drei Komponenten

In der Umsetzung der EU-Taxonomie sind die drei Komponenten Umwelt, Soziales und Unternehmensführung aber grundsätzlich gleichgewichtet und finden bei einem ESG-Rating entsprechend Berücksichtigung. Das kann dazu führen, dass ein Unternehmen ohne direkte positive Einwirkung auf die Umwelt ein ordentliches Rating bekommt, wenn eben auch keine schädlichen Effekte entstehen, Mitarbeiter, Zulieferer und Kunden gut behandelt, keine internationalen Normen verletzt werden und das Management bisher nicht negativ aufgefallen ist. Es handelt sich dann eben nicht um einen Impact-, Themen- oder Klimafonds, sondern um einen weiter gefassten Nachhaltigkeitsfonds.

Berechtigte Kritik oder Mainstream-Bashing?

Anleger dürfen sich auch nicht der Illusion hingeben, mit einem Nachhaltigkeitsfonds seien jegliche Kontroversen zu Menschen- und Arbeitsrechtsverstößen komplett vermeidbar. Internationale Aktien-, Renten- und Mischfonds investieren in weltweit agierende Konzerne mit großen Mitarbeiterzahlen und Hunderten von Zulieferern. Auch die meist verwendete Fünf-Prozent-Toleranz bei Umsätzen mit kontroversen Bereichen ist kein Trick oder Greenwashing. Diese Schwelle ist meist allein schon aus rechtlichen Gründen notwendig. Eine Null-Toleranz wäre mangels detaillierter Unternehmensdaten gar nicht belegbar. Daraus könnten Prospekthaftungsklagen resultieren. Hier geht es dann zu schnell in Richtung „Bashing“ der gesamten Nachhaltigkeitsentwicklung. Allerdings war die von nationalen und wirtschaftlichen Interessen geprägte Deklaration von Atom-und Gasenergie als „nachhaltig“ wenig hilfreich, auch wenn ökonomische Notwendigkeiten bestehen.  

Erwartungshaltung realistisch ansetzen

Neben den rein systematischen und regulatorischen Schwierigkeiten muss man erwähnen, dass die Finanzmärkte durchaus eine Wirkungskraft entfalten. Schließlich lenken sie Geldströme. Allerdings findet zunächst nur ein Börsenumsatz statt, bei dem es ja einen Käufer und Verkäufer geben muss. Erst wenn die Volumina in eine Richtung zunehmen, weil gegebenenfalls auch größere Investoren wie Staatsfonds, Pensionskassen oder Stiftungen sich von bestimmten Investments trennen, entsteht ein gewisser Druck auf das Management von Unternehmen oder auf eine ganze Branche. Trotz des hohen Tempos mit dem sich die EU-Kommission dieses Themas annimmt, kann nicht erwartet werden, dass der Finanzmarkt die negativen Effekte auf unsere Umwelt seit der Industrialisierung in wenigen Jahren ausgleicht, auch wenn fehlgeleitete finanzielle Anreize in der Vergangenheit sicherlich eine Mitschuld tragen.

Seriöse Portfolioanpassung

Große Investmenthäuser und Versicherungen sollten realistische Umsetzungsziele kommunizieren und nicht behaupten, dass man Anlagevolumina im dreistelligen Milliarden- oder oder gar im Billionenbereich in ein bis zwei Jahren auf Nachhaltigkeit trimmen kann. Seriös ist das nicht möglich und birgt auch die Gefahr von Reputationsrisiken und berechtigtem Greenwashing-Verdacht. Außerdem kann eine zu schnelle Umstrukturierung auch für die vorhandenen Fondsportfolios schädlich sein.


Gastautor Andreas Görler ist Senior-Wealth-Manager und zertifizierter Fachmann für nachhaltige Investments bei der -Wellinvest- Pruschke & Kalm GmbH. Weitere Beiträge von ihm und anderen Vermögensverwaltern finden Sie auf www.v-check.de.