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Wie Bismarcks Rente die Geburtenrate beeinflusste

Bismarcks Sozialgesetze entstanden zwar aus einem sozialpolitischen Kalkül, aber sie hatten auch auf die Geburtenrate unerwarteten Einfluss.

Bismarcks Sozialgesetzgebung wurde von Historikern vor allem als Antwort auf die zunehmende Verschlechterung der sozialen Lage der Arbeiterschaft im Zuge der Industrialisierung betrachtet. Darüber hinaus sorgte die Einführung einer gesetzlichen Rentenversicherung im Jahre 1891 für unerwartete Nebeneffekte.

So bestätigen jüngste Untersuchungen, dass infolge dieser sozialen Maßnahme die Geburtenrate im Deutschen Kaiserreich sank. Erstaunlich daran mag vor allem der Fakt sein, dass die Menschen jener Zeit trotz der geradezu illusorischen Rahmenbedingungen der neuen Rentenversicherung „jahrhundertlang erprobte Versorgungsmodelle“ – wie die Versorgung der Alten durch möglichst viele Kinder – aufgaben. Zumal die damalige Rente nur einem geringen Anteil der Arbeiterschaft einen gewissen Mindeststandard im Alter sicherte. Ein Rentenanspruch bestand nämlich erst nach dem 70. Lebensjahr. Wegen der damals durchschnittlichen Lebenserwartung von 60 Jahren kamen nur wenige in den Genuss dieser Versorgung. Zudem betrug eine Arbeiterpension im Höchstfall etwa 40 Prozent des letzten Einkommens. Hinterbliebenenversorgung gab es keine.

Dennoch war es wohl kein Zufall, dass ab dem Einführungsjahr der gesetzlichen Rentenversicherung auch die Geburtenrate kontinuierlich zu sinken begann. Zu dieser Feststellung gelangt eine neue Studie zweier Wissenschaftler des Rostocker Zentrums zur Erforschung des demografischen Wandels. Diese Studie betrachtet detailliert den seinerzeitigen Umbau des Kaiserreichs in Richtung eines (ersten) europäischen Wohlfahrtsstaates und die Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung. Zur Jahrhundertwende, als die Rentenversicherung noch einmal in Richtung Umlagesystem modifiziert wurde, beschleunigte sich der Rückgang der Geburtenrate weiter. Zu diesem Zeitpunkt waren zwischen 20 und 25 Prozent der deutschen Bevölkerung pflichtversichert.

Eine staatliche Rentenversicherung ändert manches

Die Studie ging von der Prämisse aus, dass es prinzipiell drei Wege der Altersvorsorge gibt: private Ersparnisse, familiäre Unterstützung vor allem durch die eigenen Kinder oder eben eine gesetzliche Rente. Im Hinblick auf die damalige Situation in Deutschland stellten die Autoren fest, dass dabei zwei gegensätzliche Effekte zum Tragen kommen. So wurden einerseits die Kosten, die ein Kind verursacht, durch die Einführung einer gesetzlichen Rente gemindert. Zwar wurde der Lohn um den Rentenversicherungsbeitrag gekürzt, aber dadurch war auch der Verlust geringer, wenn wegen eines Kindes weniger gearbeitet wurde. Andererseits hätten Rentenbeiträge bei einer anderen Anlage gewinnbringender eingesetzt können. So wirkte die neue Versicherung auch regulatorisch. Das Lebenseinkommen der Arbeiter wurde insgesamt reduziert. Der finanzielle und zeitliche Spielraum für Kinder wurde dadurch kleiner.

Anreize auf Generationen untersucht

Beide Effekte und ihre Wirkungsrichtung analysierten die Forscher anhand eines sogenannten „Überlappenden Generationen-Modells“. Damit konnten finanzielle Anreize auf verschiedene aufeinanderfolgende Generationen untersucht werden. Anschließend wurde dieses Modell von den Wissenschaftlern mit einem empirischen Ansatz überprüft. So konnte analysiert werden, welcher Effekt größer ist. Dazu wurden umfangreiche Daten zur Anzahl ehelicher Geburten, zum Anteil rentenversicherter Arbeiter, zur Höhe der Rentenbeiträge und zur Höhe der ausgezahlten Renten verwendet. Darüber hinaus wurden weitere Faktoren berücksichtigt: eine bessere Bildung, die zunehmende Verstädterung, das Ungleichgewicht von Männern und Frauen, die Einführung einer Krankenversicherung, ein höherer Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung. Alles (potenzielle) Faktoren, die den Rückgang der Geburtenrate ebenfalls beeinflussen.

Weniger Lust auf Nachwuchs

Dabei zeigte sich, dass das neu eingeführte staatliche Rentensystem tatsächlich einen finanziellen Anreiz setzte, weniger Kinder zu bekommen. So sorgte ein Anstieg der Rentenversicherten um einen Prozentpunkt für einen Rückgang um immerhin 54 eheliche Geburten pro 100.000 Einwohner. Bezogen auf den damaligen Zeitraum zwischen 1895 und 1907 ermittelten die Forscher, dass etwa 15 Prozent des gesamten Geburtenrückgangs auf die Einführung der Rentenversicherung zurückzuführen sein dürfte. Anhand dieser Zahlen zogen die Autoren der Studie – bei aller gebotenen Vorsicht – einen Vergleich. Demnach hat ein Anstieg der Rentenversicherten um einen Prozentpunkt eine dreimal so hohe negative Auswirkung auf die Geburtenrate als beispielsweise eine Zunahme des Ungleichgewichts zwischen Männern und Frauen um einen Prozentpunkt. Die Wissenschaftler zogen aus ihren Ergebnisse zudem den Schluss, dass die gesetzliche Rentenversicherung bis heute die Geburtenrate noch weitaus stärker beeinflusst haben dürfte.