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Konzepte gegen das Alleinsein im Alter

Die Zivilgesellschaft muss mehr dafür tun, damit Vereinsamung nicht zum Hauptproblem im Alter wird. Dafür braucht es Plätze, Orte, anders gestaltete Städte.

Diesen energischen Appell formulierte Dr. Henning Scherf, ehemaliger Bürgermeister des Stadtstaates Bremen während der Demografie-Debatte Deutschland, einer Veranstaltung des Bundesverbandes Initiative 50Plus, des Deutschen Instituts für Altersvorsorge und des Meinungsforschungsinstitutes INSA Consulere.

In seinem mitreißenden Plädoyer für eine aktive Gestaltung des demografischen Wandels ging Scherf der Frage nach, warum dieses gesellschaftliche Thema noch nicht ausreichend angepackt wird. Mitverantwortung machte er unter anderem bei den Gewerkschaften und den Sozialpolitikern aus. Erstere klammern sich, so Scherf, immer noch an überholte Auffassungen vom Arbeitsende, das sie für alle verbindlich regeln wollen. „Das mag früher vielleicht mal richtig gewesen sein. Aber heute sollte doch niemandem vorgeschrieben werden, wie er den Übergang im Alter gestaltet.“ Den Sozialpolitikern wiederum warf er vor, dass sie häufig zu kurzfristig denken und aus Angst vor dem Wähler das ganze Ausmaß des demografischen Wandels nicht beschreiben.

Alte sind Teil der Zukunft, nicht der Vergangenheit

Aber auch bei der Bauwirtschaft und den Bauinvestoren sieht er Verantwortung. „Diese bauen nicht für die Menschen, die hier wohnen wollen, sondern für Investoren, die ein Anlageproblem haben.“ Seine Hauptforderung: Wir brauchen viel mehr Konzepte, mit denen Alleinsein im Alter verhindert werden kann, durch die Stadtplanung und durch Initiativen der Bürgergesellschaft. „Wir Alten sind Teil der Zukunft, nicht der Vergangenheit“, lautete eine Schlussfolgerung von Henning Scherf, der zusammen mit Gleichgesinnten eine gut funktionierende Wohngemeinschaft aufgebaut hat, die sich gegenseitig unterstützt und voneinander profitiert. „Das Geheimnis von Hochaltrigen“, verriet er mit Verweis auf Untersuchungen, „besteht darin, dass sie nie allein waren und immer noch eine Aufgabe hatten.“

Zu niedrige Geburtenrate in mehr als 80 Ländern

Das weltweite Ausmaß des demografischen Wandels beschrieb Dr. Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, im anschließenden Vortrag. In über 80 Ländern der Erde liegt die Geburtenrate unter 2,1, die für die Reproduktion der Bevölkerung mindestens notwendig wäre. Die Zahl dieser Staaten steigt schnell. Darunter befinden sich außer Israel alle entwickelten Industrieländer, aber auch viele Schwellenländer. Beeindruckendstes Beispiel für diese Veränderung ist der Iran, wo in vergleichsweise kurzer Zeit die Geburtenrate von sieben Kindern auf nur noch 1,8 abgesunken ist.

Brisante Entwicklung in Afrika

Eine gegenläufige Entwicklung ist fast nur noch in Afrika zu beobachten. Aber auch sie birgt sozialen Sprengstoff. Klingholz führte als Beispiel den afrikanischen Staat Niger an. Bis 2060 wird sich dessen Bevölkerung auf 66 Millionen verdreifachen. Mit solch einem rasanten Wachstum wäre auch ein hochentwickelter Industriestaat überfordert, gab er zu bedenken. Wie aber soll ein Land auf dem Niveau von Niger damit fertig werden? So kommen jedes Jahr 600.000 junge Menschen neu auf den Arbeitsmarkt, für die es aber nur 180.000 Arbeitsplätze gibt.

Demografische Dividende in Deutschland

Gemessen an diesen Entwicklungen erscheinen die demografischen Probleme in Deutschland in einem ganz anderen Licht. So profitiert Deutschland derzeit noch von einer demografischen Dividende. Die kann ein Staat immer dann einfahren, wenn ein überproportional großer Anteil der Bevölkerung im Arbeitsleben steht. Das sind in Deutschland im Augenblick noch die sogenannten Babyboomer. Der Fachkräftemangel, der derzeit beklagt wird, so Klingholz, ist ausschließlich konjunkturell bedingt. „Der demografische kommt erst noch“, warnte er. Das ist dann der Fall, wenn etwa ab 2025 die Babyboomer in Rente gehen. Langfristig werde in Deutschland und auch in anderen Industriestaaten das Wirtschaftswachstum durch den demografischen Wandel gebremst. „Um dieses Thema macht die Politik aber immer noch  einen großen Bogen.“