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DIA-Forum 2015: Disput zum demografischen Defizit

2035 werden im Vergleich zu heute in Deutschland 7,3 Millionen mehr Rentner leben, aber 8,4 Millionen weniger Erwerbstätige, die für die Rente der Älteren aufkommen. Zwei Zahlen, die das demografische Defizit Deutschlands demonstrieren. Dieses Defizit war Thema des DIA-Forums 2015 in Berlin.

Prof. Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts in München und laut FAZ-Ranking der derzeit einflussreichste Ökonom in Deutschland, sezierte in seinem Vortrag auf dem DIA-Forum die Ursachen dieser demografischen Misere, beschrieb mit einem weiten Blick in die Zukunft die Folgen und leitete mehrere politische Implikationen ab. Während Deutschland in der Produktion in vielen Positionen weltweit die Nase vorn hat, trägt es bei der Reproduktion die Rote Laterne: Das Kinderkriegen ist keine deutsche Tugend mehr. Rechnet man den Anteil der in Deutschland lebenden Migranten heraus, so kommen auf 1.000 Einwohner gerade mal 6,4 Kinder. Die sogenannte Fertilitätsrate, also die durchschnittliche Zahl der Geburten pro Frau, liegt hierzulande bei etwa 1,4. In Frankreich oder in den USA beträgt diese Rate dagegen etwas mehr als zwei. Der fehlende Nachwuchs hat für Deutschland langfristige Folgen. Der Altenquotient, sprich das Verhältnis der Menschen im Alter ab 65 Jahre zu den 15- bis 64-Jährigen, verdoppelt sich bis 2060. Nach den Worten von Sinn ist angesichts dieser Entwicklung die Krise der Sozialsysteme programmiert, was von den politisch Verantwortlichen noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen wird. Die meisten offiziellen Prognosen reichen nämlich nur bis 2030. Dann fangen die Probleme eigentlich erst richtig an.

„Wir sind auf dem Wege in die Gerontokratie“

Ab 2030 gehen die sogenannten Baby-Boomer in Rente, die geburtenstarken Jahrgänge, die Mitte der 60er Jahre auf die Welt kamen. Sie sind, so Prof. Sinn, doppelt im Vorteil, weil sie zum einen für vergleichsweise wenig Kinder sorgen müssen, die Versorgung ihrer Elterngeneration sich aber noch mit vielen Geschwistern teilen können. „Wir sind auf dem Wege in die Gerontokratie“, prophezeite Sinn. Künftig werden bei mehrheitlichen Entscheidungen in unserer Gesellschaft die Belange der Älteren dominieren, weil diese in der Überzahl sind.

Rentensystem wirkt wie Versicherung gegen Kinderlosigkeit

So weit die Folgen des demografischen Defizits. Bei deren Beschreibung beließ es Sinn aber nicht. Er lieferte auch eine Erklärung der Ursachen, die mit der Behauptung begann, in Deutschland seien die Gründe für das Kinderkriegen systematisch eliminiert worden. Auslöser dieser Entwicklung: Bismarck. Vor der Einführung der Sozialversicherung durch Bismarck sei es klar gewesen, dass man heiraten und Kinder bekommen musste, um im Alter nicht zu verarmen. Das zwischen den Generationen finanzierte Rentensystem sei im Kern eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit, erklärte Prof. Sinn. Die Beziehung zwischen der Alterssicherung und dem eigenen Nachwuchs sei im Denken der Menschen ausgelöscht worden, obwohl sie weiter existiert, zwar nicht mehr auf individueller, wohl aber auf gesellschaftlicher Ebene.

Punktesystem für Einwanderung gefordert

Der Präsident des ifo Instituts ist dafür bekannt, dass er es nicht bei einer Beschreibung der Zustände belässt, sondern immer auch Vorschläge zur Veränderung präsentiert. Seine erste Empfehlung an die Politik: Schafft das gesetzliche Renteneintrittsalter ab! Eine längere Lebensarbeitszeit bringt Entlastung für die Rentensysteme. Zweite Empfehlung: Einrichtung eines Punktesystems für eine geregelte Einwanderung. Sinn warnte aber zugleich davor, in der Einwanderung das Allheilmittel zu sehen. „Wie viel Einwanderung bräuchte Deutschland, um die Rentenkrise zu meistern?“, fragte er ins Auditorium. Die angebotenen Vorschläge lagen weit ab von der tatsächlichen Zahl, die sich zweifelsfrei berechnen lässt. Alles in allem wären 32 Millionen Einwanderer nötig, um den Altenquotient auf dem heutigen Niveau zu halten. Allerdings, so Sinn, dürften die Einwanderer selbst nicht altern.

Radikale Änderung der Anlagevorschriften

Seine dritte Empfehlung lautete: Frankreich folgen. Das Land habe eine Fülle von familienfreundlichen und familienfördernden Regelungen wie zum Beispiel die Berücksichtigung der Anzahl der Kinder bei der Ermittlung der Steuerlast der Familien. Seinen dritten Ratschlag versah er aber sofort mit einer Einschränkung: Für die Bewältigung der akuten demografischen Krise kommen diese Maßnahmen zu spät, sie wirken nur weit in die Zukunft. Mit seiner vierten Empfehlung schließlich forderte er eine grundlegende Änderung der Anlagevorschriften in der kapitalgedeckten Altersvorsorge: Aktien und Realkapital statt Staatsanleihen.

Pflichtsparen und Kinderrente

Zum Schluss schlug er einen Ausweg aus dem Dilemma vor, das durch die Sozialisierung des Risikos der Kinderlosigkeit entstanden ist: eine Kinderrente als Ergänzung zur gesetzlichen Rente und zur Beamtenpension. Mit Eintritt in die Berufstätigkeit werden alle zum Sparen verpflichtet. Dieses Geld wird in Realkapital investiert. Stellt sich Nachwuchs ein, werden die Eltern sukzessive von diesem Pflichtsparen befreit, weil sie für die Versorgung ihrer Kinder aufkommen müssen. Zugleich wird ihr bereits angespartes Kapital freigegeben, damit es für den Unterhalt der Kinder zur Verfügung steht. Wer kinderlos bleibt und somit keine künftigen Beitragszahler für das Umlagesystem beigetragen hat, bekommt aus dem eigenen Pflichtsparen zusätzlich zur gesetzlichen Rente oder zur Beamtenpension eine Rente aus dem selbst gebildeten Kapital. Die Eltern wiederum beziehen bei Rentenbeginn eine zusätzliche Kinderrente aus dem Umlagesystem, das mit aus den Einzahlungen ihrer Kinder finanziert wird. So müsse zwar jeder eine zusätzliche Last schultern, bekomme aber auch eine zusätzliche Leistung im Alter.

Das vorgeschlagene Pflichtsparen und die zusätzliche Kinderrente hatte vor allem unter den jüngeren Gästen des DIA-Forums Interesse geweckt. Noch lange nach dem Vortrag diskutierten sie mit Prof. Hans-Werner  Sinn über seinen Vorschlag zur Reform des Systems der Alterssicherung.