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Sterbetafeln: Kalkulation mit Methusalem

Kritiker werfen den Lebensversicherern übergroße Vorsicht bei der Wahl ihrer Sterbetafeln vor. Wie ernst sind diese Einwände zu nehmen?

Die Riester-Rente ist in den zurückliegenden Wochen und Monaten schwer unter Beschuss geraten. Etliche Kritiker monieren eine zu geringe Rentabilität für die Sparer. Diese müssten schon 100 Jahre und älter werden, damit sich die Vorsorge tatsächlich für sie lohne.

Ein wesentlicher Grund dafür seien die übervorsichtigen Annahmen der Lebensversicherer bei der Kalkulation der Lebenserwartung. Sie setzen, so moniert zum Beispiel der Vorsitzende des Bundes der Versicherten, Axel Kleinlein, unrealistisch hohe Lebenserwartungen an, was letztendlich den Unternehmen zu Gute kommt, weil die Risikogewinne nur zu 75 Prozent den Kunden gutgeschrieben werden.

Keine präzise Prognose möglich

Jochen Ruß, Geschäftsführer der Gesellschaft für Finanz- und Aktuarwissenschaften (ifa) und apl. Prof. für Aktuarwissenschaften an der Universität Ulm, setzte sich im Rahmen eines Workshops mit dieser Auffassung auseinander. Die Lebenserwartung zukünftiger Rentner könne nicht präzise prognostiziert werden, daher müssten die Rentenversicherer vorsichtig kalkulieren. Im Übrigen sei dies auch gesetzlich vorgeschrieben.

Ruß verweist auf die seit Jahrzehnten in Deutschland zunehmende Lebenserwartung. „Ob der derzeitige Trend zukünftig anhält, sich sogar noch verstärkt oder aber abschwächt, kann heute nicht mit Sicherheit vorhergesehen werden. Die Lebenserwartung bei Geburt ist in den letzten Jahrzehnten relativ gleichmäßig angestiegen, im Durchschnitt um knapp drei Monate pro Jahr. Die Zunahme der sogenannten Restlebenserwartung von zum Beispiel 65-Jährigen unterlag hingegen deutlich stärkeren Schwankungen“, erläutert der Aktuarwissenschaftler. So hat es in der Vergangenheit Phasen gegeben, in denen diese Restlebenserwartung sich kaum änderte, die wiederum von Phasen mit einem rapiden Anstieg abgelöst wurden. Auf dieser Basis sei eine sichere Prognose für die Zukunft gar nicht möglich.

Vorsicht ist nicht übertrieben

Anders als bei Veränderungen von Aktienkursen oder Zinsschwankungen könne sich ein Versicherer gegen die Veränderung der Restlebenserwartung im Prinzip nicht absichern. Daher bestehe die einzige Möglichkeit, Riester-Produkte mit einer garantierten lebenslangen Auszahlung anzubieten, darin, die garantierte Rentenhöhe entsprechend vorsichtig zu kalkulieren. Mit anderen Worten: Der Versicherer nimmt eine relativ lange Lebenserwartung an. Jochen Ruß verweist auf jüngste Forschungsergebnisse der Universität Ulm, wonach die derzeit von den Versicherern verwendeten Sterbetafeln nicht zur vorsichtig sind.

Dabei wurden im Rahmen eines Forschungsprojektes die historischen Muster in den Veränderungen der Sterberaten in die Zukunft fortgeschrieben. Schlussfolgerung: Wenn die zukünftigen Veränderungen ähnlich ausfallen, wie in den letzten Jahrzehnten beobachtet, dann sind die aktuellen Sicherheitszuschläge definitiv nicht zu hoch.

Lebenserwartung ist nicht gleich Lebenserwartung

Ruß kritisiert außerdem, dass beim Nachweis einer angeblich zu vorsichtigen Kalkulation der Versicherungsgesellschaften und der daraus resultierenden Benachteiligung  der Versicherten in manchen Fällen Unvergleichbares miteinander verglichen wird. So werde nicht immer beachtet, dass es unterschiedliche Arten von Lebenserwartungen gebe. Insbesondere müsse die Frage beantwortet werden, ob ein erwarteter zukünftiger medizinischer Fortschritt berücksichtigt wird oder nicht und ob eine Lebenserwartung bei Geburt oder eine Restlebenserwartung zum Beispiel eines 65-Jährigen betrachtet wird.

Zur Veranschaulichung stellt er zwei Beispiele für die unterschiedliche Ermittlung der Lebenserwartung gegenüber. Zum einen die Periodentafel des Statistischen Bundesamtes, die davon ausgeht, dass in Zukunft kein medizinischer Fortschritt stattfindet. Betrachtet wird dabei die Lebenserwartung bei Geburt. Ein neugeborener Mann käme danach auf etwa 77 Jahre. Nimmt man dagegen die Rententafel DAV 2004 R (1. Ordnung), bei der es sich um eine sogenannte Generationentafel handelt, die den geschätzten zukünftigen medizinischen Fortschritt berücksichtigt und einen zusätzlichen Sicherheitszuschlag enthält, dann ergibt sich für einen heute lebenden 65-jährigen Mann eine Lebenserwartung von 89,5 Jahren. Beide Werte unterscheiden sich also um 12,5 Jahre.

„Es wird oft suggeriert, dass solche Unterschiede ausschließlich auf Sicherheitszuschläge, also auf die vorsichtige Kalkulation von Versicherern zurückzuführen ist. Das ist jedoch nicht korrekt. Von den 12,5 Jahren Unterschied sind nur ca. drei Jahre auf Sicherheitszuschläge zurückzuführen“, fügt Jochen Ruß hinzu.