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Mehr Selbstbestimmung für betreute Personen

Vor genau einem Jahr wurde eine Reform des Betreuungsrechts umgesetzt, die mit zahlreichen Neuerungen einhergeht.

Dabei handelt es sich um die umfassendsten Änderungen seit Einführung der Betreuung (und Abschaffung der Entmündigung) im Jahr 1992. Ziel der Neuerungen ist im Wesentlichen die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts und der Autonomie von unterstützungsbedürftigen Personen. Außerdem soll sich die Qualität der rechtlichen Betreuung verbessern.

So soll eine Betreuung immer erst dann eingesetzt werden, wenn dies notwendig ist. Das heißt, wenn andere Hilfen nicht verfügbar und ausreichend sind. Im reformierten Betreuungsrecht kommt nunmehr klarer zum Ausdruck, dass die rechtliche Betreuung in erster Linie Beratung und Unterstützung des Betroffenen sowie Schutz bei der Besorgung seiner Angelegenheiten durch eigenes selbstbestimmtes Handeln gewährleisten soll. Der Betreuer darf das Mittel der Stellvertretung nur einsetzen, soweit es erforderlich ist. (Zentrale Norm ist dabei der § 1821 BGB n.F., der auch die „Magna Charta“ des Betreuungsrechts genannt wird.)

Die Wünsche des Betreuten sind der Maßstab

Im Detail bedeutet dies, der Betreuer muss sich durch regelmäßige persönliche Kontakte sowie Besprechung anstehender Entscheidungen ein eigenes Bild davon machen, welche Wünsche die betreute Person hat. Den festgestellten Wünschen hat er in den gesetzlich festgelegten Grenzen zu entsprechen und die betreute Person bei deren Umsetzung rechtlich zu unterstützen. Kann sich jemand nicht mehr zu seinen Wünschen äußern, darf der Betreuer nicht einfach nach eigenem Ermessen entscheiden. Stattdessen muss er den mutmaßlichen Willen des Betreuten ergründen und versuchen, diesen umzusetzen.

Die Reform soll auch Qualität und Aufsicht der rechtlichen Betreuung verbessern. Das bedeutet, dass Betreuer sich regelmäßig fortbilden und ihre Tätigkeit dokumentieren müssen. Berufsbetreuer müssen sich zudem künftig bei einer Betreuungsbehörde registrieren lassen und persönliche und fachliche Mindesteignungsvoraussetzungen nachweisen. Zudem müssen die Betreuungsgerichte die Betroffenen stärker einbeziehen und ihre persönliche Anhörung gewährleisten. Ihre Wünsche haben stets im Mittelpunkt des Verfahrens zu stehen. Summa  summarum kann man sagen, das neue Recht stellt nun sicher, dass der Betreute in sämtlichen Stadien des Betreuungsverfahrens besser informiert und stärker eingebunden wird.

Notvertretung bei Ehegatten

Eine praktisch wichtige Änderung ist auch die Einführung eines gesetzlichen Notvertretungsrechts für Ehegatten in gesundheitlichen Angelegenheiten. Das bedeutet, dass der Ehegatte in einer medizinischen Notsituation für den anderen entscheiden kann, wenn dieser entscheidungsunfähig ist und keine Vorsorgevollmacht oder Patientenverfügung vorliegt. Das Notvertretungsrecht ist auf maximal sechs Monate befristet und umfasst Angelegenheiten der Gesundheitssorge sowie kurzfristig freiheitsentziehende Maßnahmen. Es gilt nicht, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner getrennt leben oder wenn der Patient einen Widerspruch eingelegt hat.

Wann dürfen Wünsche versagt werden?

Bei aller nunmehr normativ verankerten maßgeblichen Orientierung der Betreuertätigkeit an den Wünschen der betreuten Person gibt es in der Realität jedoch zum einen einen Zeitfaktor, der in einer Betreuung aufgrund der Rahmenbedingungen trotz größtmöglicher Bemühungen oftmals nicht hinreichend gegeben ist. Zum anderen wird eine der größten Herausforderungen die Beantwortung der Frage sein, unter welchen konkreten Gegebenheiten ein Betreuer die Befolgung der Wünsche des Betreuten (im Ausnahmefall) zu versagen hat. Fest steht zumindest, dass eine Versagung einzig und allein aus Gründen des Schutzes des Betreuten erfolgen kann. Das Spannungsverhältnis zwischen eigenverantwortlicher Selbstbestimmung und dem Schutz vor erheblicher Eigengefährdung bleibt damit auch nach der Reform des Betreuungsrechts  bestehen  und zeigt auf, dass eine Wunschbefolgungspflicht des Betreuers keineswegs grenzenlos, sondern nur „im Rahmen der konkreten Möglichkeiten des Betroffenen“ besteht.


Gastautor Joseph M. Sobaci ist seit 2005 als selbstständiger Rechtsanwalt in Hannover niedergelassen. Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist das Betreuungsrecht. Er ist zudem noch häufig im Sozialrecht, Schwerbehindertenrecht und Pflegeversicherungsrecht tätig.