Website-Icon DIA Altersvorsorge

Reine Lehre im Streit mit der Vernunft

Kaum haben sich Union und Sozialdemokraten auf eine Sondierung für eine neue Große Koalition geeinigt, stellen die Genossen das Verhandlungspapier massiv in Frage.

Beim Parteitag am kommenden Sonntag müssen sich Martin Schulz, der von einem „hervorragenden Ergebnis“ der Verhandlungen sprach, und die gesamte Parteiführung warm anziehen. Dennoch kann man davon ausgehen, dass die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen eine Delegierten-Mehrheit findet.

Ansonsten müssten Schulz und die Verhandlungsführer zurücktreten, was der Partei-Linken aber herzlich gleichgültig ist. Die Inhalte seien entscheidend, nicht die Personen, heißt es. Gleichzeitig warnt Bundestagsfraktions-Chefin Andrea Nahles davor, die mit den Unionsparteien erzielten Ergebnisse „mutwillig zu zerreden“. Sie weiß, wovon sie spricht, hat sich doch die SPD beim Leib- und Magenthema von Nahles, der Rente, weithin durchgesetzt. Skeptiker der Neuauflage eines großen Parteienbündnisses sollen nun mit dem Hinweis auf mögliche Nachbesserungen in den Koalitionsverhandlungen vertröstet werden. Diese lehnt aber die Union entschieden ab. „Pacta sunt servanda“ – Koalitionen sind nur dann erfolgreich, wenn sich die Partner auch sauber an Absprachen halten.

Legislatur mit eingebautem Misstrauen

Einen besonders gespenstischen  Vorschlag hat der frühere Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee gemacht. Da in dem Sondierungspapier von einer Evaluierung der Ergebnisse zur Hälfte der Legislaturperiode die Rede ist, regt er ein konstruktives Misstrauensvotum von Kanzlerin Angela Merkel zur Halbzeit an. Sollte sie keine Mehrheit bekommen, gebe es halt Neuwahlen. Bei diesem Misstrauen gegenüber einem notwendigen Vorrat an Gemeinsamkeiten sollte man den Wähler lieber gleich entscheiden lassen und das Berliner Gewürge beenden. Auch eine Minderheitsregierung wäre besser als eine programmierte Mesaillance.

Umfangreicher Katalog zur Rente

Was wurde bei den Sondierungen im Bereich „Rente, Gesundheit und Pflege“ nun konkret vereinbart? Die Anerkennung der Lebensleistung und ein wirksamer Schutz vor Altersarmut seien wesentlich, heißt es in der Präambel. So soll die gesetzliche Rente auf dem heutigen Niveau von 48 Prozent bis zum Jahr 2025 gesetzlich abgesichert werden. Eine doppelte Haltelinie für das Rentenniveau und die Beiträge wird angepeilt. Eine Rentenkommission soll einen Vorschlag für einen nachhaltigen Generationenvertrag für die Zeit nach 2025 machen. Die Lebensleistung von Menschen, „die jahrzehntelang  gearbeitet, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben, soll honoriert und ihnen ein regelmäßiges Alterseinkommen von zehn Prozent oberhalb des regionalen Grundsicherungsbedarfs zugesichert“ werden. Berechtigt sind Versicherte, die 35 Jahre an Beitragszeiten oder Zeiten der Kindererziehung beziehungsweise Pflegezeiten aufweisen. Voraussetzung für den Bezug dieser Grundrente ist eine Bedürftigkeitsprüfung, die Bezieher dieser Leistung können im Alter im selbst genutzten Haus oder ihrer Wohnung im Regelfall weiterhin leben.

Mütterrente II auf CSU-Wunsch

Weitere Verbesserungen sind bei der Erwerbsminderungsrente, aber auch bei der Ausgestaltung der Flexi-Rente geplant, um Anreize für freiwilliges, längeres Arbeiten zu schaffen. Schließlich ist noch eine gründerfreundlich ausgestaltete Altersvorsorgepflicht für Selbständige vorgesehen. Als ob das nicht schon alles teuer genug ist, sattelten die Sondierer auch noch bei der Mütterrente drauf. „Mütterrente II“ nennt sich der Plan, nach dem Müttern, die drei oder mehr Kinder vor 1992 auf die Welt gebracht haben, künftig auch das dritte Jahr Erziehungszeit in der Rente angerechnet werden soll. Ein Herzensanliegen von CSU-Chef Seehofer. Ein zentraler Punkt ist auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Bezahlung in der Alten- und Krankenpflege. Außerdem: 8.000 neue Fachkraftstellen in der medizinischen Behandlungspflege.

Der SPD fehlt eine vorzeigbare Trophäe

An der Altersvorsorge und Pflege liegt es also nicht, dass Teile der SPD die Verhandlungsergebnisse in Frage stellen. Erbost sind die Genossen vielmehr, dass kein Einstieg in die Bürgerversicherung erfolgen soll und die Union auch bei den Steuern und der „schwarzen Null“ im Bundeshaushalt hart geblieben ist. Dennoch  hat die SPD für ihre vermeintliche Klientel viel erreicht, doch fehlt es ihr an einer vorzeigbaren Trophäe wie dem Mindestlohn oder der Rente mit 63. Die Gegner einer Einigung mit der CDU/CSU sind vor allem Anhänger der reinen Lehre. Das Wort von der staatspolitischen Verantwortung wollen sie nicht hören. Ab in die Opposition zur Gesundung der Partei, heißt ihre Linie.

Die Befürchtungen der Präsidentin treten ein

Dabei ist der erreichte Konsens voller ordnungspolitischer Sündenfälle. Für die Realisierung der gegenseitigen Leib- und Magenprojekte gönnte man sich großzügig Milliarden. Zu Lasten der heute unter Fünfzigjährigen. Wie in einer dramatisch alternden Gesellschaft das Sicherungsniveau bei den heutigen 48 Prozent des Nettolohns ohne eine gewaltige Steigerung der Belastungen für die Beitragszahler zu halten ist, darauf gibt es keine Antwort. Eine längere Lebensarbeitszeit ist geradezu ein Tabu. Arme Alte verwandeln sich künftig zu Kostgängern der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach 35 Beitragsjahren sollen bedürftige Rentner einen zehnprozentigen Aufschlag auf die Grundsicherung bekommen, natürlich aus dem Beitragstopf. Zu Recht hatte die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung, Gundula Roßbach, davor gewarnt, die Rentenkasse für immer mehr versicherungsfremde Leistungen in Anspruch zu nehmen. Jetzt passiert genau das.

Aktionen im Berliner Interregnum

Im Berliner Interregnum bilden sich nun Bundestagsausschüsse. Als größte Oppositionspartei beansprucht die Alternative für Deutschland (AfD) den Haushaltsausschuss, den „Königs-Ausschuss“ des Parlaments. Das ist zwar gesetzlich nicht geregelt, aber bisher guter interfraktioneller Brauch gewesen. Die Grünen haben in dieser Woche im Bundestag ein Sofortprogramm für mehr Personal in der Altenpflege und in Krankenhäusern gefordert, die Freien  Demokraten sprachen sich für eine Beitragssenkung bei der Arbeitslosenversicherung aus und DIE LINKE wollte die Doppelverbeitragung bei Betriebsrenten abschaffen. Der Bundesrat ließ sich von der Bundesregierung über die im Augenblick erfreuliche Lage der gesetzlichen Rentenversicherung informieren.