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Doppelstrategie gegen Altersarmut

Das Timing stimmte. Kurz nachdem drei Studien über die Entwicklung der Altersarmut in Deutschland veröffentlicht worden waren, päsentierte Handelsblatt-Chefökonom Professor Dr. Bert Rürup eine Doppelstrategie gegen Altersarmut. Sein Vorschlag: eine Lockerung des strengen Äquivalenzprinzips in der gesetzlichen Rentenversicherung.

Heute gilt: Wer viel und lange in die Rentenkasse eingezahlt hat, der bekommt eine hohe Rente. Umgekehrt wirkt dieses Prinzip ebenso: kurze Beitragszeiten und geringe Beiträge führen nur zu einer niedrigen Rente. Einen Ausgleich zwischen den Einzahlern sieht das deutsche Rentensystem nicht vor.

Als dieses Prinzip 1957 eingeführt wurde, passte es nach den Worten von Rürup, der dem Handelsblatt Research Institute als Präsident vorsteht, in die wirtschaftliche Landschaft. Vollzeitbeschäftigung war die Regel, die Spreizung der Löhne vergleichsweise gering. Das Risiko einer Langzeitarbeitslosigkeit oder unterbrochener Erwerbsbiografien war in Vergessenheit geraten. Niedrige Geburtenraten und die damit verbundenen Finanznöte einer umlagefinanzierten Rentenversicherung konnte sich niemand vorstellen. „Kinder wird es immer geben“, zeigte sich Bundeskanzler Adenauer bei der Einführung des Rentensystems zuversichtlich.

„Unter diesen Bedingungen des klassischen Industriezeitalters mochte ein Rentenniveau, das sich an der Rentenhöhe eines Beschäftigten bemisst, der zunächst 40 Jahre und seit Ende der 1980er-Jahre 45 Jahre stets den Durchschnittslohn verdient hat, ein brauchbarer Beurteilungsmaßstab für die Leistungsfähigkeit eines Altersvorsorgesystems gewesen sein“, räumt Rürup ein. „Im postindustriellen Zeitalter mit vielfältigeren Erwerbsformen neben der klassischen Festanstellung im Betrieb, durchbrochenen Arbeitsbiografien, einem aus Beschäftigungsgründen fest etablierten Niedriglohnsektor sowie einem – trotz Rekordzahlen bei der Beschäftigung – nicht außer Acht zu lassenden beachtlichen Kern an Langzeitarbeitslosigkeit ist dies aber definitiv nicht mehr der Fall.“

Deutschland als Exot unter den Industrieländern

Schon bei verschiedenen Gelegenheiten hat Rürup darauf verwiesen, dass Deutschland unter den Rentensystemen in der Welt als Exot auftritt. In keinem anderen Industrieland, nimmt man einmal Mexiko aus, ist das Rentenniveau von Geringverdienern niedriger als in Deutschland. Die meisten OECD-Länder haben für Geringverdiener Auffangnetze, so dass deren Renten höher ausfallen. Daher sein  mit Nachdruck vorgetragener Vorschlag, für die Geringverdiener das Äquivalenzprinzip zu lockern. Das sei geradezu zwingend, wenn es nach 2030 zu einer weiteren Anhebung der Regelaltersgrenze kommen sollte, um die Kosten der Bevölkerungsalterung gleichmäßiger über die Generationen zu verteilen.

Niedrigverdiener doppelt von Altersarmut bedroht

Rürup verweist auf eine Verkettung von ungünstigen Umständen im Bereich der Niedrigverdiener. Häufig üben sie körperlich anstrengende Berufe aus. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit führt bei ihnen daher zu einer doppelten Bedrohung durch Altersarmut. Zum einen durch die wegen der geringen Einzahlungen an sich schon niedrigen Rentenansprüche, zum anderen wegen der Gefahr, auf Grund von Erwerbsunfähigkeit vorzeitig aus dem Arbeitsleben ausscheiden zu müssen. Dann drohen zusätzlich Abschläge auf die ohnehin geringe Rente.

Lockerung des strikten Äquivalenzprinzips

Die bislang beschlossenen Maßnahmen wie die Verbesserungen bei den Anrechnungszeiten für Erwerbsminderungsrenten und die diskutierte Solidarrente, die aus Steuermitteln bezahlt werden soll, sind nach Rürups Auffassung zwar besser als nichts, aber noch lange keine überzeugende Antwort auf die zunehmenden Risiken durch Altersarmut als Folge von unterbrochenen Erwerbsbiografien, langfristiger Teilzeitbeschäftigung, unzureichender Bildungsabschlüsse und Langzeitarbeitslosigkeit.

Dagegen setzt er seinen Vorschlag einer Doppelstrategie. Sie besteht aus einer vorbeugenden Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik und einer Erhöhung der Armutsfestigkeit der gesetzlichen Rente. Zu Letzterem könnte die Lockerung des Äquivalenzprinzips führen, weil dadurch die Renten der Geringverdiener höher ausfallen würden als derzeit. Prof. Rürup benennt einen Nebeneffekt einer solchen Systemänderung: Sie würde die Legitimierung und Akzeptanz des aus Zwangsbeiträgen finanzierten Rentensystems erhöhen.

Wenn eine Expertenkommission zur gesetzlichen Rente, wie von CDU und CSU vorgeschlagen, in der nächsten Legislaturperiode zusammentritt und über die Weiterentwicklung des Rentensystems berät, liegt auf deren Tisch also schon mal ein erster Vorschlag.