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Berliner Inventur

Inventur nennt man im Geschäftsleben die Bestandsaufnahme für jedes Jahr zur Bilanz und zum Inventar. Oft bricht Prüfungshast vor den Stichtagen aus.

Ähnlich geht es in der Politik zum Ende einer Legislaturperiode zu. Zahlreiche Gesetzgebungsvorhaben müssen noch fristgemäß über die Bühne gebracht werden, damit sie nicht der parlamentarischen Diskontinuität zum Opfer fallen, sprich in den Papierkorb wandern.

So ergeht es auch dem zweiten Rentenpaket der Großen Koalition in dieser Legislaturperiode, also dem Betriebsrentenstärkungsgesetz, der Rentenangleichung zwischen Ost und West und der Verbesserung der Ansprüche von Erwerbsgeminderten. In den nächsten Tagen wird nun auch noch der Bundesrat seinen Segen zu diesen Gesetzen erteilen. Die Ausschüsse der Länderkammer werden noch einige, aber nur marginale Korrekturen einbringen. Dann erlangt ein Maßnahmenkatalog Gesetzeskraft, der nach der kontraproduktiven Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren ein echter Fortschritt ist und das Lob des Betrachters herausfordert.

Jetzt haben wir ihn also doch, den Rentenwahlkampf. Martin Schulz, der neue Hoffnungsträger der SPD, hat der Union vorgeworfen, sich vor klaren Stellungnahmen in der Rentenfrage zu drücken. Das Schweigen der Bundeskanzlerin zu zentralen Zukunftsfragen wie der Rente, das Ausdruck der asymmetrischen Demobilisierungsstrategie der Union sei, nannte er einen „Anschlag auf die Demokratie“. Nach dieser Attacke, die auch ein Ausdruck der Verzweiflung angesichts mieser Umfragewerte ist, muss man sich fragen, welche schrillen Wahlkampftöne noch zu erwarten sind und ob es nicht eine Tonlage moderater geht.

Man mag den mangelnden Ehrgeiz der Union in der Rentenfrage geißeln. Schulz vergisst aber, dass seine Rentenkonzepte mit der doppelten Haltelinie bei Niveau und Beiträgen auch nur das Nahziel 2030 im Auge haben. Außerdem tabuisiert die Partei die Frage des Renteneintrittsalters.

Die „Doppelte-Lottchen-Strategie“ der SPD

Ob ein Wahlkampf mit einem einsamen, aggressiven außerparlamentarischen Agitator erfolgreich sein kann, darf man bezweifeln. Seine Genossen arbeiten loyal und respektvoll mit der Regierungschefin im Kabinett zusammen. Indessen schreckt ihr Wahlkämpfer vor groben Fouls nicht zurück. Diese „Doppelte-Lottchen-Strategie“ kann nur schwerlich aufgehen, auch wenn die Partei erstmals seit langer Zeit Geschlossenheit demonstriert. Außerdem sollte Schulz wissen, dass zum Vorwurf der Demobilisierung immer zwei gehören. Jene mit der gezielten Strategie und die anderen, die sich demobilisieren lassen. Potentielle SPD-Wähler kann er damit ja kaum gemeint haben.

Dass der Widerspruch zu Schulz nicht lange auf sich warten ließ, damit war zu rechnen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble warf den Sozialdemokraten Wählerverdummung vor, weil sie sich an das Thema des Renteneintrittsalters nicht heranwagen. Wenn die Lebenserwartung ansteige, werde die Lebensarbeitszeit auf Dauer nicht unverändert bleiben können. Schäuble wiederum muss sich in diesen Tagen einer innerparteilichen Debatte zum Umfang von Steuersenkungen nach der Bundestagswahl stellen. Die Union legt in dieser Woche letzten Schliff an ihr Wahlprogramm.

Der Wirtschaftsrat der CDU verlangt von der neuen Bundesregierung – schwarz-gelb wäre die Lieblingsfarbe der Unternehmervereinigung – mehr Engagement für den Industriestandort Deutschland. Der Industrieanteil sollte bis 2025 auf 25 Prozent ausgebaut werden. Der Alterung der Gesellschaft sollte mit mehr flexiblen Beschäftigungsmodellen entgegengewirkt werden. Die Arbeitszeit sollte an die längere Lebenserwartung angekoppelt werden. Mit jedem Jahr mehr Lebenserwartung sollte der Eintritt in die Rente um acht Monate verzögert werden. Ein eigener Workshop mit Staatssekretär Jens Spahn und dem Deutsche Bank-Vorstand Christian Sewing beschäftigte sich bei der Wirtschaftsrats-Jahrestagung mit der Altersvorsorge. Sewing forderte dabei mehr Ehrgeiz für die private Vorsorge in der nächsten Legislaturperiode des Deutschen Bundestages.