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Inflation: gefühlt, geschätzt, geirrt

Inflation ist für viele Menschen ein schwer zu fassendes Phänomen. Als Konsumenten überschätzen sie deren Höhe regelmäßig. Als Sparer nehmen sie Inflation so gut wie nicht zur Kenntnis.

Kurze Zeit nach Einführung der gemeinsamen europäischen Währung bekam diese im Volksmund den Titel „Teuro“. Dieser Vorwurf steckt den Zentralbankern wohl immer noch in den Knochen. So widmete sich unlängst eine Studie der Europäischen Zentralbank wieder einmal dem Preiswachstum im Euro-Raum.

Das Ergebnis: Die Inflation wird von Verbrauchern praktisch immer überschätzt. Erheblich sogar. Im Zeitraum von 2004 bis 2015 betrug der Mittelwert der wahrgenommenen Inflation in der Eurozone 9,5 Prozent. Das liegt beträchtlich über der tatsächlichen durchschnittlichen Inflationsrate in Höhe von 1,8 Prozent. Für die gesamte Europäische Union war das Ergebnis nicht viel besser. Gefühlt 9,8 Prozent Inflation, tatsächlich waren es aber nur rund zwei Prozent.

Diese Fehleinschätzung fällt in Abhängigkeit von Land, Konjunktur, Bildung und Geschlecht unterschiedlich hoch aus. Die Deutschen neigen weniger dazu als die meisten anderen Europäer. Läuft die Wirtschaft schlecht, weicht der gefühlte Zustand stärker von der Realität ab. Inzwischen sind die Abweichungen nicht mehr ganz so heftig. Aber das mag auch daran liegen, dass die Inflation in jüngster Vergangenheit gegen null tendierte. Erst in den letzten Monaten ist sie wieder ein wenig angestiegen. Die Unterschiede zwischen Wahrnehmung und Realität werden zudem kleiner, wenn die Bildung höher und das Vermögen größer ist. Junge Menschen und Frauen überschätzen das Preiswachstum stärker als Männer und Ältere.

Warenkorb verleitet zu Fehleinschätzung

Die EZB-Studie liefert keine klare Antwort auf die Frage, warum sich Menschen mit der Inflation so schwertun. Die Gründe für die Unterschiede seien noch nicht ausreichend verstanden worden und müssten weiter untersucht werden, hieß es nach Veröffentlichung der Studie. Möglicherweise spielen Qualitätsverbesserungen eine Rolle. In der offiziellen Preisstatistik werden sie berücksichtigt. Die Verbraucher nehmen sie aber vielleicht nur unzureichend wahr. Möglicherweise liegt es auch am Warenkorb. Preisveränderungen bei Lebensmitteln, die oft gekauft werden, registrieren die Käufer aufmerksamer als Veränderungen bei Staubsaugern, deren Anschaffung alle acht bis zehn Jahre ansteht. Verteuern sich häufig gekaufte Waren, treibt das die gefühlte Inflation nach oben.

Menschen gewichten Verluste höher als Gewinne

Aber auch die Verhaltensökonomik schlägt sich in dieser falschen Einschätzung nieder. Menschen gewichten Verluste höher als Gewinne. Ein gestiegener Preis wird als Verlust empfunden. Es gibt weniger Ware fürs gleiche Geld. Entsprechende Kaufkraftgewinne dagegen wirken nicht als Kompensation für die Teuerung an anderer Stelle. Die Verlustaversion lässt die gefühlte Inflation daher höher erscheinen. Hinzu kommen unterschiedliche Zeithorizonte bei der Bewertung: Konsumenten vergleichen die aktuellen Warenpreise keineswegs immer mit dem Preis vor genau einem Jahr. Oft haben sie noch einen Preis in Erinnerung, der viel weiter als ein Jahr zurückliegt. Die Berechnung der Inflationsrate bezieht sich aber immer aufs Vorjahr.

Außerdem denken Verbraucher nicht in Durchschnitten. Starke Preiserhöhungen an einer Stelle werden gedanklich nicht mit moderaten Entwicklungen bei anderen Waren ausgeglichen. Verteuern sich die Brötchen, verzichtet deswegen ja niemand aufs Frühstück und schafft sich stattdessen ein zweites TV-Gerät an, weil dessen Preis gefallen ist. So kommt unter dem Strich eine andere gefühlte Inflation zustande.

Sparer übersehen die Kaufkraftentwertung

Während Menschen als Konsumenten sehr häufig Inflation wahrnehmen, übersehen sie die Kaufkraftentwicklung als Sparer weitgehend. Bei der Einschätzung langfristiger Vermögensbildung und Altersvorsorge wird die Inflation entweder gar nicht berücksichtigt oder deutlich zu niedrig angesetzt. Wer tatsächlich einmal nachrechnet, ist überrascht, wie stark Inflation den Realwert schmälert. Bei zwei Prozent jährlicher Inflation zum Beispiel, das ist der Wert, den die Notenbank anpeilt, sinkt die künftige Kaufkraft von 1.000 Euro in 30 Jahren auf 552,07 Euro. Das Geld ist also de facto nur noch die Hälfte wert. Dabei handelt es sich um einen Durchschnittswert. Je nach Ausgabenstruktur kann die Inflation sogar noch größer sein. So unterliegt der Warenkorb vermögender Sparer erfahrungsgemäß einem stärkeren Kaufkraftverlust, der ein bis zwei Prozentpunkte höher ausfallen kann.


Mit einem Tool des Statistischen Bundesamtes lässt sich die individuelle Inflationsrate berechnen. Sie hängt ab von den jeweiligen Konsumgewohnheiten. Zur Berechnung.