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Grundsicherung: Ein Blick über den Zaun

Die verstärkte Diskussion über eine Reform der Grundsicherung veranlasste das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zu einem Blick über den nationalen Tellerrand. Fazit: Andere Länder führen eine ähnliche Debatte.

Trotz verschiedener Experimente zur Vereinfachung des Leistungssystems sei in Europa bislang kein Paradigmenwechsel hin zu einer bedingungslosen Grundsicherungspolitik auszumachen. Das schreiben Kerstin Bruckmeier und Regina Konle-Seidl nach ihrer Betrachtung der Reformbestrebungen in anderen europäischen Ländern.

Beschäftigt haben sie sich mit den Systemänderungen und -anpassungen in Finnland, den Niederlanden und Großbritannien. Finnland hatte 2017 und 2018 mit 2.000 Arbeitslosen zwischen 25 und 58 Jahren ein Experiment mit einem bedingungslosen Grundeinkommen durchgeführt. Damit sollte ermittelt werden, ob ein solches Grundeinkommen zu mehr Beschäftigung und weniger Bürokratie führt. Die Verfechter der Grundeinkommens-Idee vertreten die These, dass Menschen mit einer solchen finanziellen Absicherung ohne Zwänge selbst schöpferische Beschäftigung suchen.

Aber gerade das lässt sich mit dem finnischen Experiment nicht belegen. „Die vorläufigen Auswertungen zeigen keine eindeutigen Hinweise auf einen positiven Beschäftigungseffekt“, schreiben Kerstin Bruckmeier und Regina Konle-Seidl in ihrem Beitrag im IAB-Forum. Die Teilnehmer des Experiments waren im ersten Jahr knapp 50 Tage in Beschäftigung. Das war kaum mehr als die Angehörigen aus einer Kontrollgruppe Arbeitsloser. Der einzige positive Effekt des Grundeinkommens: Das Wohlbefinden der Teilnehmer verbesserte sich.

Niederländische Kommunen experimentieren

Im Zusammenhang mit einer Verschärfung der Mitwirkungspflichten von Sozialhilfeempfängern seit 2015 nutzen einige niederländische Kommunen eine mit dem neuen Partizipationsgesetz eingeführte Experimentierklausel. Damit testen sie in einem Zeitraum von zwei bis drei Jahren Ausnahmen von den gesetzlichen Aktivierungsanforderungen. Pflichten der Hilfeempfänger, Hinzuverdientsgrenzen und Sanktionen können gelockert werden. Bislang liegen allerdings noch keine Aussagen dazu vor, ob und wie mehr Freiräume und weniger Zwang die Autonomie und Motivation der Betroffenen stärken und zu mehr Beschäftigung führen.

Eine Leistung statt sechs in Großbritannien

Als drittes Reformbeispiel führen die beiden Autorinnen den „Universal Credit“ (UC) im Vereinigten Königreich an. Die neue bedürftigkeitsgeprüfte Leistung ersetzt sechs Einzelleistungen durch eine einzige monatliche  Zahlung. Verbunden damit ist eine stärkere Aktivierung der Empfänger. So gibt es mehr finanzielle Anreize zur Arbeitsaufnahme. 37 Pence von jedem Pfund aus Beschäftigung bleiben oberhalb eines Anrechnungsfreibetrages anrechnungsfrei. Die Transferentzugsrate ist degressiv ausgestaltet. Das soll zu einer Ausweitung der Arbeitszeit ermuntern. Im Gegenzug wurden die Sanktionsregeln verschärft. Die Leistung kann im äußersten Fall für drei Jahre vollständig entfallen.

Aussagen zur Wirkung des UC lassen sich laut dem IAB-Forumbeitrag noch nicht treffen. Von den sieben Millionen in Frage kommenden Haushalten bezieht erst eine Million Haushalte die neue Leistung. Die Einführung liegt gegenüber den ursprünglichen Planungen sechs bis sieben Jahre im Rückstand. Vor allem informationstechnische Probleme seien die Ursache für die Verzögerung gewesen.

Reform innerhalb der bestehenden Systeme

Zusammenfassend stellen die Autorinnen fest, dass sich die europäischen Wohlfahrtsstaaten bislang auf Reformen innerhalb der bestehenden Sozialleistungssysteme konzentrieren und versuchen, Schwächen zu beseitigen. „Die betrachteten Länder wenden sich dabei jedoch nicht vom Aktivierungsansatz ab. Teils wurden Anforderungen an die Leistungsempfänger und Sanktionsmöglichkeiten sogar verschärft.“