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Verschmähtes Geld vom Arbeitgeber

Der Tarifvertrag Altersvorsorge, der vor mehr als 20 Jahren im Einzelhandel abgeschlossen wurde, lief von Anfang an ins Leere. Eine Studie deckt endlich die Konstruktionsmängel dieser Vereinbarung zur Betriebsrente auf.

Stell dir vor, es gibt Geld, aber keiner will es. Auf diese knappe Formel lässt sich der Altersvorsorge-Tarifvertrag im Einzelhandel bringen. Diese Vereinbarung sieht vor, dass Arbeitgeber jährlich 300 Euro für jeden Beschäftigten in einen Betriebsrentenvertrag einzahlen.

Als die Tarifpartner diesen Vertrag schlossen, hielten sie ihn für einen Selbstläufer. Das war ein gewaltiger Irrtum. Zwei Jahrzehnte blieb im Dunklen, wie viele Arbeitnehmer überhaupt davon profitieren. Beobachter hatten nur so eine vage Vermutung, dass der Vertrag ein Mauerblümchen ist. Das Forschungsnetzwerk Altersvorsorge (FNA) beauftragte schließlich ein Team um Prof. Dr. Wolfang Schroeder von der Universität Kassel mit einer Untersuchung, wie der tariflich fixierte Altersversorgungsbeitrag im Einzelhandel ankommt.

Wenig belastbare Zahlen für die ganze Branche

Nach mehr als 20 Jahren erfahren die Tarifpartner mit den Ergebnissen des Forschungsprojektes ein wenig schmeichelhaftes Urteil. Zum einen ist es auch heute noch äußerst schwierig, belastbare Zahlen zur Umsetzung des Tarifvertrages zu ermitteln. Prof. Schroeder und seine Mitstreiter gehen davon aus, dass deutlich weniger als 50 Prozent der Arbeitnehmer im Einzelhandel das vereinbarte Geld bekommen. So genau lässt sich das aber immer noch nicht für die gesamte Branche feststellen. Allenfalls zu einzelnen Unternehmen liegen verlässliche Zahlen vor. Da aber im Einzelhandel eine sehr große Bandbreite unterschiedlicher Unternehmen anzutreffen ist, besitzen Hochrechnungen auf die gesamte Branche nur bedingte Aussagekraft.

Hoffnung auf einen Selbstläufer ging nicht auf

Stellt sich zum anderen die Frage, worauf die geringe Beteiligung zurückzuführen ist. Immerhin stehen die 300 Euro den Arbeitnehmern tarifvertraglich zu. Hauptursache: Der Tarifbeitrag für die Altersvorsorge landet nicht automatisch bei den Arbeitnehmern, sondern muss von jedem einzelnen beantragt werden. Seit längerem ist bekannt, dass solche Opt-in-Verfahren nicht besonders gut funktionieren. Dennoch habe man einen Selbstläufer erwartet, räumt Dr. Judith Kerschbaumer von ver.di, die an der Aushandlung des Tarifvertrages selbst mit beteiligt war, rückblickend ein.

Allerdings hat sich die Gewerktschaft noch aus einem anderen Grund für das Antragsverfahren entschieden. Die Arbeitgeberseite hatte damals nämlich gedroht, die Verhandlungen scheitern zu lassen, wenn etwas anderes als ein Opt-in-Modell im Tarifvertrag steht. Insgeheim schwang damals schon die Hoffnung des Handelsverbands Deutschland (HDE) mit, dass es wohl am Ende nicht so viel koste, wenn die Arbeitnehmer selbst aktiv werden müssen. Genau so ist es schließlich auch gekommen.

Arbeitnehmer sind unzureichend oder falsch informiert

Es liegt aber nicht allein an der Passivität der Arbeitnehmer, wie das Team von Prof. Schroeder herausfand. „Offensichtlich haben viele Beschäftigte gar keine Kenntnis von der betrieblichen Altersversorgung in ihrem Betrieb oder sind falsch informiert“, stellen die Studienautoren fest. Außerdem begünstige das Antragserfordernis Verhaltensweisen, die zur Nichtinanspruchnahme beitragen. Vor allem die sogenannte „Aufschieberitis“ ist stark ausgeprägt, besonders bei jüngeren Beschäftigten. „Darüber hinaus tragen auch ein generelles Desinteresse am Thema, Resignation vor der eigenen Alterssicherung sowie Misstrauen gegenüber Versicherungen und dem Arbeitgeber zur Nichtinanspruchnahme bei“, heißt es in der Zusammenfassung der Studie.

Viele Arbeitgeber blieben passiv

Hinzu kommen einige Besonderheiten des Einzelhandels. Die Betriebsstätten sind stark zersplittert und in der Fläche verteilt. Es gibt einen hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigten. All das trägt zu einem geringeren Kontakt zwischen den Betriebsräten, die vor allem für Bekanntheit der tariflichen Regelungen sorgen, und den Arbeitnehmern bei. Auch wird den Arbeitgebern bescheinigt, dass sie nur ein geringes Interesse haben, auf den Tarifvertrag Altersvorsorge hinzuweisen. So nannten 53 Prozent der Befragten die Passivität des Arbeitgebers als Ursache für die geringe Verbreitung. Dabei hätte der Arbeitgeber gute Möglichkeiten, auf die Zahlungen für eine Betriebsrente aufmerksam zu machen: bei jeder Neueinstellung und auf jeder Gehaltsabrechnung zum Beispiel. Die Arbeitgeberpassivität lässt sich auch auf den Tarifvertrag selbst zurückführen. Darin sind nämlich nur sehr weiche Informationspflichten vorgegeben (Schwarzes Brett o. ä.). Die abnehmende Tarifbindung sorgt obendrein für eine geringere Wirksamtkeit tarifvertraglicher Regelungen, obwohl sich auch nicht gebundene Unternehmen oft am Tarifvertrag der Branche orientieren.

Umstellung auf Opt-out vorgeschlagen

Die Schlussfolgerungen der Studienautoren liegen auf der Hand: Den wichtigsten Beitrag zur flächendeckenden Erhöhung der Inanspruchnahme könnten die Sozialpartner leisten, indem sie auf ein Opt-out-Verfahren mit Abwahlmöglichkeit umstellen. Jeder Arbeitnehmer bekommt erst einmal automatisch die 300 Euro in einen Vertrag eingezahlt, es sei denn, er widerspricht ausdrücklich. Solche Opt-out-Modelle funktionieren in der Altersversorgung ganz gut, das zeigen Erfahrungen an anderer Stelle, selbst wenn Arbeitnehmer Einzahlungen aus eigenem Geld leisten müssen.

Bevormundung befürchtet

Ob ein solcher Verfahrenswechsel in absehbarer Zeit gelingt, steht in den Sternen. Die Arbeitgeberseite hat nämlich nach wie vor große Vorbehalte. Auf einer FNA-Veranstaltung, auf der die Studienergebnisse vor kurzem präsentiert wurden, gab Steven Haarke vom HDE zu bedenken, Opt-out könne bei den Arbeitnehmern „Bevormundungsgefühle“ wecken. Der Arbeitgeberverband hält am Antragsverfahren festr. Auf Betriebsebene könne schließlich, so Haarke, schon heute ohne Änderung im Tarifvertrag ein Opt-out-Modell eingerichtet werden. Auch nach 20 Jahren schwingt also ein wenig die Hoffnung bei den Arbeitgebern mit, dass die betriebliche Altersversorgung am Ende dann doch weniger Geld kostet.